Was Päpste und der ungläubige Thomas miteinander verbindet
Wenn Päpste zweifeln

Der Apostel Thomas zweifelt – und wird von Jesus zugleich überzeugt und zurechtgewiesen. Dass sogar Päpste von Zweifeln nicht verschont bleiben, zeigt ein Buch des Radio-Vatikan-Redakteurs Stefan von Kempis.

Foto: wikimedia.de
Herr von Kempis, zweifeln die Päpste wirklich?
Ja, die Päpste zweifeln. Fast ist mein Eindruck, dass sie stärker zweifeln, je länger ihr Pontifikat dauert. Aber das ist eigentlich nicht überraschend. Erst im Laufe eines Pontifikats, nach der Euphorie des Anfangs, merkt ein Papst, was es alles an Schwierigkeiten gibt. Bei Johannes Paul II. sind fast alle Texte über Zweifel aus der späteren Phase seines Pontifikats. Andererseits ist mir bei ihm auch aufgefallen, dass er diese Fragen immer gleich im Sinn des Glaubens beantwortete und selten einfach stehen ließ. Derjenige, der damit am wenigsten Schwierigkeiten hat, ist Papst Franziskus. Er sagt etwa immer wieder, er habe keine Antwort darauf, warum Kinder leiden müssen.
Können Sie einschätzen, wie tief die Zweifel sitzen?
Am tiefsten scheint mir das bei Paul VI. und bei Benedikt XVI. der Fall zu sein. Ich sehe auch dessen Rücktritt in diesem Zusammenhang. Nicht, dass Benedikt daran zweifeln würde, dass es Gott gibt. Aber im Angesicht des nahenden Todes ist ihm der Ernst der Frage, was danach kommt, neu bewusst geworden. Darauf möchte er sich vorbereiten – betend, nachdenkend, auch mit Zweifeln umgehend. Dafür brauchte dieser Papst Zeit.
Gehören Glaube und Zweifel untrennbar zusammen?
Ja. Das war ein Befund, der mich zunächst überrascht und dann fasziniert hat. Glaube ist, nach Joseph Ratzinger, die Art und Weise, wie wir uns zum Leben, zur Welt, zu den großen Fragen verhalten. Gleichzeitig gibt es immer Blockaden, ganz viele verschiedene Formen des Nicht-Glaubens. Glaube und Zweifel gehören zusammen. Es ist Franziskus, der betont, dass der Glaube, der sich komplett sicher wähne, nichts anderes sei als Fanatismus.
An diesem Sonntag wird von den Zweifeln des Thomas erzählt. Ihn den Ungläubigen zu nennen: Ist das nicht ungerecht?
Ja. Andererseits tut es doch auch gut, dass Nicht-Glaubende oder Menschen, die Schwierigkeiten mit dem Glauben haben, in ihm so eine Art Patron sehen können. Für mich selber ist das Mutter Teresa. Wer hätte denn zu ihren Lebzeiten gedacht, dass diese große Heilige und Missionarin der Nächstenliebe so von Zweifeln und Gottesferne innerlich zerfressen war?
Was können wir von den Päpsten für unseren eigenen Umgang mit den Zweifeln lernen?
Die Zweifel als Teil des Glaubens zuzulassen. Der Schriftsteller Samuel Beckett sagte einmal, eines seiner deutschen Lieblingsworte sei Zwei-fel: Wo zweierlei ist, da ist auch der Zweifel, das Ungewisse, die Unsicherheit. Wir haben einen dreifaltigen Gott, in dessen Wesen schon das Dreierlei aufscheint. Wir haben eine Bibel mit vier Evangelien. Wo zwei oder mehr sind, da sitzt auch der Zweifel drin – und zwar auf legitime Weise. Wo der Glaube ist, hat er den Zweifel immer im Gepäck.
Interview: Kerstin Ostendorf
Papst Franziskus:

Patmos, 125 Seiten, 18 Euro
„Weihnachten erinnert uns daran, dass ein Glaube, der uns nicht in eine Krise führt, ein Glaube in der Krise ist; ... ein Glaube, der nicht Fragen aufwirft, ist ein Glaube, über den wir uns Fragen stellen müssen; ... ein Glaube, der uns nicht erschüttert, ist ein Glaube, der erschüttert werden muss.“
„Wenn jemand behauptet, er sei Gott mit absoluter Sicherheit begegnet, und nicht berührt ist von einem Schatten der Unsicherheit, dann läuft etwas schief.“
„Der Christ sollte keine Angst davor haben, in eine Krise zu geraten: Sie ist ein Zeichen dafür, dass er vorwärtskommt, dass er nicht am Ufer des Flusses oder Meeres vor Anker liegt, sondern dass er hinausgefahren ist und vorwärtskommt.“
„Warum nur ist die Welt so, wenn du doch dein Leben hingegeben hast? Ist das etwa eine Illusion, ein Alibi, um uns zu vertrösten? Ein Christ, der das noch nie gespürt hat, dessen Glaube noch nie in eine Krise geraten ist, dem fehlt etwas.“
Papst Benedikt XVI.:
„Das große Leiden des Menschen ist gerade dies: Gibt es hinter dem Schweigen des Universums, hinter den Wolken der Geschichte einen Gott oder nicht?“
„Gott schweigt, und dieses Schweigen zerreißt das Herz des Beters, der unablässig betet, aber keine Antwort findet. Tage und Nächte vergehen, in einer unermüdlichen Suche nach einem Wort, nach einer Hilfe, die nicht kommt. Gott scheint so fern, so abwesend zu sein, scheint ihn vergessen zu haben.“
„Der Herr schenke uns Glau-
ben, er komme uns zu Hilfe in unserer Schwachheit, und er mache uns fähig zu glauben und zu beten in jeder Angst, in den schmerzhaften Nächten des Zweifels und an den langen Tagen des Schmerzes.“
„Es sind die Fragen, ob es über-
haupt gut ist zu leben? Ob Gott wirklich gut ist und da ist und wirklich hilft? Diese Nächte werden uns nicht erspart.“
Papst Johannes Paul II.:
„Auch unser Inneres ist tückischen Abgründen ausgesetzt. Wir kennen die Dunkelheiten von Enttäuschungen, Schicksalsschlägen und Glaubenszweifeln.“