Was ist der Friede Gottes?
Werde frei!
Foto: imago/Frank Sorge
In der Lesung aus dem Philipperbrief heißt es an diesem Sonntag: „Und der Friede Gottes, der alles Verstehen übersteigt, wird eure Herzen und eure Gedanken in Christus Jesus bewahren.“ Aha. Frieden ist also nichts, was man einfach so verstehen kann, er übersteigt das Denken. Aber kann man ihn wenigstens fühlen? Es muss ihn doch geben, wenn ihn der Apostel Paulus in seinem Brief an die Philipper erwähnt. Wer kann heute sagen, was Paulus gemeint hat und was dieser Friede Gottes ist?
Man findet nicht leicht jemanden, der bereit ist, darauf Antworten zu geben. Einer, der sich vorstellen konnte, unserer Redaktion etwas dazu zu sagen, ist Konrad Köster. Viele Menschen in seinem Wohnort Recke in Nordrhein-Westfalen kennen ihn als Rentner auf dem Fahrrad, neben ihm sein Hund an der Leine. Er liebt Fahrradfahren – bis zu zwölf Kilometer, sagt er – und Spaziergänge. Wer ihn trifft, erlebt einen frohen, zugewandten Menschen, der Zeit hat. Manche erleben seine Zuwendung auch an ihrem Sterbebett. Der 78-Jährige engagiert sich ehrenamtlich beim Hospizdienst und sitzt bei Sterbenden in den letzten Stunden ihres Lebens.
Er wollte weitermachen wie früher
Dafür hatte er früher keine Zeit. 19 Jahre lang, bis Anfang 1990, hatte er viel zu tun als Pfarrer in verschiedenen Gemeinden im Bistum Münster. Er war Schulseelsorger und Präses der Kolpingfamilie. Er predigte gerne und aus dem Stand. Wenige Stichworte reichten ihm, um vor den Leuten im Gottesdienst seine Gedanken zu entfalten. Heute entschuldigt er sich, wenn er meint, zu theologisch zu sprechen, und sagt über sich selbst: „Ich muss mir mein Heil nicht mehr selbst verdienen. Ich lasse mich vom Leben beschenken und genieße es auch.“ Das Leben zu genießen, ist etwas, das er mit dem Frieden Gottes verbindet. Für den arbeitsamen Priester von einst lange eine unvorstellbare Haltung. Heute ist er dankbar, dass er noch lebt, dass er wieder sprechen kann – für seinen Anspruch etwas zu langsam, zu überlegt.
Aufs Predigen muss er sich jetzt vorbereiten. Doch die Leute in der Gemeinde sagen, es hätte ihnen gutgetan, was er zum Beispiel bei einer Beerdigung gesagt hat. Und wenn er die Spaziergänge und das Fahrradfahren genießt, dann auch deshalb, weil es eine Zeit gab, in der es kaum vorstellbar war, dass er jemals wieder laufen kann.
Als Köster 45 Jahre alt war, hat bei ihm ein Virus eine Gehirnentzündung ausgelöst. Er lag Wochen im Koma und Monate im Krankenhaus – und hat überlebt. Doch er sagte sich: „Streng dich an, dann kommst du wieder rein!“ Den Rat des Generalvikars, sich entpflichten zu lassen, wollte er nicht hören. „Ich dachte damals, ich könnte einfach weitermachen“, sagt er – und kehrte als Vikarius und Kooperator in die Gemeinden zurück.
„Ich hatte wirklich die Einbildung: Mensch, du weißt doch, was in dir steckt, du schaffst das!“, sagt er und erzählt, dass er in manchen Wochen vier, fünf oder sechs Beerdigungen hatte. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Pfarrei sagten ihm regelmäßig, dass das zu viel für ihn ist. Doch insgesamt vergingen 16 Jahre, bis er sich entpflichten ließ. Der Schritt zum Frieden war für ihn das Eingeständnis, dass es so nicht weitergeht.
„Das hat mich Kraft gekostet“, sagt Köster. Überhaupt sei Loslassen „eine der schwierigsten Sachen in meinem Leben“. Für ihn bedeutet das, sich nicht länger daran zu klammern, wie es früher war. Es bedeutet, nicht mehr wieder „so leistungsfähig werden zu wollen, dass die Umwelt nur noch staunen kann darüber, dass ich mich wieder so gut einsetze“, sagt er und fügt hinzu: „Nein, das geht auch viel bescheidener und kleiner.“
Frieden heißt für Köster heute, „frei von Sucht und Selbsttäuschung zu werden“, wie er sagt. Nach seiner Gehirnentzündung versuchte er eine Zeitlang, seine Defizite mit Alkohol zu kompensieren. Ein Entzug in einer Klinik und eine Kreuzbund-Gruppe halfen ihm aus der Abhängigkeit. Vor allem heißt Frieden für ihn jedoch, „zu lachen und darauf zu achten, was ich noch Gutes kann, wie gut es mir geht und vor allen Dingen, dass ich noch viel mehr Zeit habe, mit Menschen zu sprechen und mich auf Seelsorge einzulassen“, sagt er. Er ist Seelsorger und hält Gottesdienste in dem Maß, wie er Kraft dazu hat. Er freut sich, dass man ihn in seinem Wohnort wieder in die Kolpingfamilie eingeladen und dass er zu vielen Menschen Kontakt hat.
„Man ist nie fertig damit“
Die Versöhntheit mit seinen vielen Einschränkungen – beim Sprechen, bei der körperlichen Leistungsfähigkeit, dass er Menschen nicht an ihren Gesichtern erkennen kann – hat er nicht nur geschenkt bekommen. Er hat sie auch errungen. Ohne das Gebet, etwa die Zeile „Dein Wille geschehe“ aus dem Vaterunser, wäre er verzweifelt, erzählt er. Geholfen haben ihm auch die Worte von Charles de Foucauld: „Mein Vater, ich überlasse mich dir, mach mit mir, was dir gefällt. Was du auch mit mir tun magst, ich danke dir.“ Wenn er sich Gott überlassen und ihm vertrauen kann, gibt ihm das Kraft. Doch das Gottvertrauen stellt sich nicht automatisch ein. „Manchmal muss ich mich darum bemühen. Man ist nie fertig damit“, sagt er.
Wie er den Frieden Gottes also wahrnimmt? „Mir scheint, dass ich ihn am deutlichsten spüre, wenn ich zu meiner Situation und zu dem Leben auf dieser schönen Erde Ja sagen kann, es genießen kann und mich freuen kann. Dann ist auch Frieden da.“ Und der ist dann halb geschenkt, halb errungen und größer als das Verstehen, wie Paulus sagt.