Mann ohne Angst: Jens Ehebrecht-Zumsande
Widerspruch und Gelassenheit

Foto: privat
Der Fußpilger, angekommen in Assisi.
Es kommt immer ein Tag, an dem ein Mensch raus muss. Luft holen, sich neu orientieren. Für Jens Ehebrecht Zumsande war es vor einem Jahr so weit. Fünf Monate nahm er sich frei. Er reiste durch Italien: Siena, Bologna, Ravenna, Sizilien, Neapel, zu Fuß von Florenz nach Assisi. Der Hamburger brauchte diese Auszeit. Es gab viel zu klären. „Was will ich? Und was will ich werden?“ Das ist eine merkwürdige Frage für einen 53-Jährigen, der seit 28 Jahren im Erzbistum Hamburg tätig ist. Zuerst als Gemeindereferent in Kiel, viele Jahre als Referent für Katechese, zuletzt als Leiter des Grundlagenreferats „Kirche in Beziehung“.
Wenn ich nicht so katholisch wäre, hätte ich mir das nicht angetan
Als Spezialist für Glaubenskommunikation hat Ehebrecht-Zumsande einen Namen. Er war Sprecher aller deutschen Katechesebeauftragten. Zahlreiche Bücher und Buchbeiträge hat er geschrieben. Es waren Reflexionen einer Praxis, die sich rasant verändert. „Man kann nicht immer den gleichen Stiefel fahren, so wie vor 30 Jahren.“ Das wurde dem Theologen schon in seiner ersten Stelle klar. Reicht es, Kinder im Glauben zu unterrichten? Muss man nicht bei den Eltern anfangen? Ist eine kurze, intensive Begegnung nicht fruchtbarer als endlos lange Kurse? „Heute hat sich alles so stark individualisiert, dass man überall und in jedem Jahr neu gucken muss, wen man vor sich hat und was da geht.“
Jens Ehebrecht-Zumsande war in der Szene bekannt. Aber am 24. Januar 2022 wurde er berühmt. Damals brachte die ARD die Sendung „Wie Gott uns schuf“. 100 Beschäftigte der katholischen Kirche traten auf und bekannten sich zu ihrer Homosexualität. Ein Jahr lang wurde diese Dokumentation vorbereitet, sie blieb geheim bis kurz vor Sendebeginn. Jens Ehebrecht-Zumsande war nur kurz zu sehen. Aber er hatte dieses „Coming Out“ initiiert – angeregt durch eine Aktion von Schauspielern in der Süddeutschen Zeitung. „Das sollten wir auch machen“, so schrieb der Hamburger damals in sein soziales Netz. Einige Tage später hatte er selbst die Führungsrolle in diesem riskanten Vorstoß. „Gottseidank habe ich damals nicht gewusst, was ich da lostrete. Sonst hätte ich es vielleicht nicht gemacht“, gesteht der Theologe heute. Die ARD-Sendung wurde begleitet von einem Manifest. Eine Petition fand 110 000 Unterzeichner. Ein Jahr später gründeten Ehebrecht-Zumsande und seine Mitstreiter den Verein „#OutInChurch e.V. – für eine Kirche ohne Angst“. Der Verein bekommt heute fast täglich Anfragen – zu Vorträgen, Seminaren, persönlichen Beratungen, es geht bis zu einer beratenden Funktion im Bundesfamilienministerium.
Kirche ohne Angst? Jens Ehebrecht-Zumsande ist kein ängstlicher Mensch. Wegen seiner Offenheit wird er als Kommunikator und Vermittler überall geschätzt. Dass er schwul ist, hat er nicht verschwiegen. Aber auch für ihn war das „Outing“ ein Befreiungsschlag. „Man konnte früher nie sicher sein. Jederzeit hätte man mich vor die Tür setzen können. Und es gab immer Situationen, wo jemand versucht hat, das auszunützen.“ Es kamen Drohungen auf dem Anrufbeantworter, Anzeigen beim Bischof, kryptische Anweisungen von Vorgesetzten („Sie können ja so sein, aber machen Sie’s im Geheimen!“). „In Hamburg und mit den Hamburger Bischöfen ging alles gut. Aber ich weiß auch: In vielen anderen Bistümern hätte es so etwas wie mich nicht gegeben.“ Im November 2022 verbuchte „Out in Church“ einen Erfolg: Das kirchliche Arbeitsrecht wurde geändert. Wegen seiner „privaten Lebensgestaltung“ kann hat kein Mitarbeiter gekündigt werden. Andere Ziele aber sind noch nicht erreicht. An der kirchlichen Sexuallehre hat sich nichts geändert. Ein weiteres Anliegen: „Ein Kulturwandel, um den es uns geht, muss auch die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit einschließen. Wir brauchen eine Aufarbeitung der Schuldgeschichte an den queeren Menschen, die ihre berufliche Existenz verloren haben.“ Doch da bewegt sich bisher nichts, bedauert Jens Ehebrecht-Zumsande.

Drei Jahre „Out in Church“ haben Kraft gekostet. Wie sollte es weitergehen? Während seiner Sabbatzeit hat sich Jens Ehebrecht-Zumsande entschieden. Zurück in die Pfarrseelsorge! Seit Januar arbeitet er in der Hamburger Innenstadt. Thema „Offene Kirche“, sprich: City-Pastoral. Und: Im Oktober hat er seinen Partner geheiratet. Ohne Gefahr für den Job, aber immer noch ohne amtlichen Segen. „Das war für mich bitter. Seit 28 Jahren bin ich in diesem Bistum tätig. Aber für mich hat die Kirche keinen Segen übrig. Obwohl der Synodale Weg den Weg dahin freigemacht hat.“
Viele seiner Mitstreiter sind aus der Kirche ausgetreten. Hat Jens-Ehebrecht-Zumsande auch mit diesem Gedanken gespielt? „Ständig und immer“, sagt er. „Die Frage geht auch bei mir nicht weg. Ich frage mich in vielen Zusammenhängen: Ist das wirklich das, was Jesus wollte?“ Geblieben ist er dann doch. Warum, das sagt er mit einem Lächeln: „Wenn ich nicht so katholisch wäre, hätte ich mir das alles nicht angetan.“ Katholisch, das ist die Vielfalt von möglichen Glaubensformen in der Gemeinschaft. „Die katholische Kirche ist ein so bunter Haufen! Vieles was für manche Menschen unbedingt dazugehört, befremdet mich zunehmend. Umgekehrt ist es aber auch so.“ Und deshalb sieht der 53-Jährige die Auseinandersetzungen, die Austritte, die Untergangs-Szenarien jetzt mit Gelassenheit. „Allen ist klar, dass es so nicht weitergeht. Aber es gibt einen unzerstörbaren Kern, nämlich unsere Botschaft. Das Wesentliche daran kann nicht kaputt gehen.“
Zur Person
Wegen einer Allergie musste der junge Konditor Jens Ehebrecht-Zumsande (53) aus Hilter den Beruf wechseln. Er wurde Gemeindereferent, arbeitete lange in der Pastoralen Dienststelle Hamburg. In der Freizeit backt er immer noch. Vor allem Brot. „Aber Torte kann ich auch“.