Warum das Thema Christenverfolgung politische Sprengkraft hat
„Zahlenfetischismus“
Foto: kna/Harald Oppitz
Religionsfreiheit ist ein Menschenrecht, dessen Verteidigung für die Kirchen ein Dauerauftrag ist – so drückte es der katholische Weltkirchebischof Bertram Meier jüngst aus. „Es ist nicht damit getan, ein Pflichtprogramm zu machen und einen Tag ein Eventfeuerwerk abzubrennen.“ Einen Teil dieser Pflichtschuldigkeit haben katholische und evangelische Kirche jüngst mit ihrem dritten ökumenischen Bericht der Religionsfreiheit weltweit wieder abgeleistet. Dessen zentrale Aussage: Religionsfreiheit ist ein Menschenrecht und darf als solches nicht gegen andere ausgespielt werden.
Bei der Vorstellung des Berichts stand jedoch Meiers Aufruf im Vordergrund, den Teilaspekt der Christenverfolgung „aus der Tabuzone“ zu holen und „nicht den Extremgruppen“ zu überlassen. Wen genau er damit meinte, ließ der Bischof offen. Zu bemerken ist allerdings, dass sich mit der päpstlichen Stiftung Kirche in Not und dem christlichen, Freikirchen nahe stehenden Hilfswerk Open Doors gleich zwei Konkurrenten finden, die ebenfalls regelmäßig Berichte zur Christenverfolgung veröffentlichen.
Die Zahlen werden teils einfach so übernommen
Bischof Meier betonte zwar, dass es mit Kirche in Not eine enge Zusammenarbeit gebe, bezeichnete es aber als „schade“, dass das Thema innerhalb der katholischen Kirche praktisch exklusiv dem Hilfswerk vorbehalten bleibe. Zurückhaltender fiel die Reaktion zum Vergleich mit den Open Doors-Berichten aus.
Deutlichere Rückschlüsse ließen hingegen die Äußerungen des Theologen Heiner Bielefeldt zu, der als maßgeblicher Autor des ökumenischen Berichts firmiert. Bielefeldt prangerte einen „Zahlenfetischismus“ an, wenn es um verfolgte Christen auf der Welt gehe. „Niemand kann seriöserweise sagen, wie viele Christen denn bedrängt werden, verfolgt werden“, sagte er dem Portal domradio.de, deshalb werde auch in der Veröffentlichung darauf verzichtet. „Da geht es ja um Fragen, wie man in der Schule damit umgeht, wie das Strafrecht gestaltet ist, das gesellschaftliche Klima. Das lässt sich schwer in Zahlen ausbuchstabieren.“
Das kann auch ohne explizite Namensnennung als Kritik an den Berichten von Kirche in Not und Open Doors verstanden werden, die Religionsfreiheit und Christenverfolgung mehr oder weniger ausführlich mit quantitativen Maßstäben messen. Kirche in Not sprach in seinem jüngsten Bericht von vier Milliarden Menschen, die in Ländern lebten, in denen religiöse Minderheiten verfolgt würden. Open Doors berichtete über 360 Millionen Christen, die weltweit verfolgt würden.
Schon 2012 meldete Bielefeldt, damals noch UN-Sonderberichterstatter über Religions- und Weltanschauungsfreiheit, Zweifel an den Zahlen der Organisation an. Es lägen keine klaren Kriterien für den Verfolgungsbegriff zugrunde, dadurch könne er sehr weitläufig interpretiert werden.
Dennoch werden die Zahlen von Open Doors wegen ihrer vermeintlichen Aussagekraft nicht nur von diversen Medien teils unkommentiert übernommen. Es ist kein Geheimnis, dass Parteien und Gruppierungen am rechten politischen Rand versuchen, das Thema Christenverfolgung für sich zu beanspruchen. Anfang des Jahres scheiterte die AfD im Bundestag mit dem Antrag, den 15. Februar offiziell zum Internationalen Tag gegen Christenverfolgung zu erheben. In der Antragsbegründung berief sich die Partei auf die Zahlen von Open Doors. Aufschlussreich ist auch das für den verhinderten Gedenktag gewählte Datum: Am 15. Februar 2015 veröffentlichten Mitglieder der Terrormiliz Islamischer Staat ein Video von der Enthauptung von 15 koptischen Christen; dies schreibt die Fraktion zur Begründung im Antrag.
So verabscheuungswürdig die Tat der Terroristen ist, verdeutlicht ihre Aufnahme auf diese Weise im Antrag eines der maßgeblichen Probleme im rechten Diskurs über die Christenverfolgung: Er läuft fast unweigerlich auf Islamophobie heraus, sieht also den Islam als weltweit größte Bedrohung für Christen – durch Flüchtlinge auch in Deutschland. Während gewaltbereite muslimische Flüchtlinge von links-grünen „Gutmenschen“ hofiert und unterstützt würden, würden verfolgte Christen ignoriert, nicht anerkannt, werde ihre Situation verleugnet, so die Behauptung.
„Polemik führt inhaltlich nicht weiter“
Die Christenverfolgung wird damit zu einer Säule des von rechts gerne propagierten Kulturkampfes, in dem verschiedene Themenfelder als Bevormundung bis hin zu Demokratiegefährdung dargestellt werden. Dazu zählen der Klimaschutz, aber ebenso die Gender-Politik. Letzterer trägt auch der ökumenische Bericht Rechnung und prangert das Heranziehen der Religionsfreiheit als vermeintliches Bollwerk gegen Gender-Politik an: „Wieso jemand in seiner Religionsfreiheit dadurch irgendwie beeinträchtigt werden sollte, dass Lesben und Schwule ihre Beziehungen in der Gesellschaft angst- und diskriminierungsfrei leben können, bleibt dabei in der Regel völlig unerfindlich.“
Durch den Bericht wird deutlich: Das Thema Christenverfolgung hat Sprengkraft. Die Gefahr für die Gesellschaft ist auch dem Bischof bewusst, der eine Mahnung ausspricht: „Polemik bringt in diesem Thema vielleicht Schlagzeilen, aber inhaltlich führt es nicht weiter.“
Bielefeldt greift diesen Punkt auf – und nimmt auch übrige Teile der Gesellschaft in die Pflicht: „Während ultrakonservative oder rechtspopulistische Akteure dazu neigen, die Religionsfreiheit ‚klientelistisch‘ in Beschlag zu nehmen, besteht in religionsfernen ‚säkularistischen Milieus‘ gelegentlich die Neigung, ihren Sinn und ihre Aktualität überhaupt in Zweifel zu stellen.“