Film über KZ-Arzt Josef Mengele

Zum Gruseln

Image
Josef Mengele im Auto
Nachweis

Foto: LupaFilm/CG-Cinema/HypeStudios

 

Caption

Josef Mengele reist 1956 unbehelligt durch Deutschland.

 

„Das Verschwinden des Josef Mengele“ läuft jetzt in den Kinos an. Der Arzt in Auschwitz galt nach dem Krieg als tot, lebte aber unentdeckt in Südamerika. Wer den Film anschaut, muss etwas Geduld und gute Nerven mitbringen.

Josef Mengele trägt Mantel, Hut und Sonnenbrille, schaut nach unten und ändert die Richtung, wenn er Männern begegnet, die so aussehen, als könnten sie hinter ihm her sein. Dabei gibt es eigentlich keinen Anlass für Angst: 1956, als der Film einsetzt, wissen nur Eingeweihte, dass Mengele in Buenos Aires lebt. So sicher fühlt er sich, dass er seinen Koffer packt und sich ins Flugzeug nach Deutschland setzt. Familiäre Probleme locken ihn dorthin: Sein Bruder ist gestorben, Schwägerin Martha will wieder heiraten. Aber einen Außenstehenden? Das geht gar nicht. Könnte nicht Josef ...? „Ja“, sagt er, „warum nicht?“

Es ist nicht einfach, in den Film hineinzufinden. Die Bilder sind schwarz-weiß, die Schnitte lang. Über Minuten kleidet sich Mengele an, schließt den Koffer, und als er geht, verharrt die Kamera in der Wohnung, bis die Schritte verhallt sind. Er geht über die Straße, man hört spanische Gespräche, laute Rufe, den vorbeifahrenden Bus. Es wirkt, als sei man mit ihm auf dem Weg zum Flughafen von Buenos Aires.

Nach einer Viertelstunde fällt der erste deutsche Satz. Mengele wird von einem Freund in Deutschland abgeholt. Im Auto unterhalten sie sich. Wie ist es in Argentinien? „Super! Perron hat ‚Mein Kampf‘ gelesen, und die Argentinier hassen Juden, weil sie Jesus gekreuzigt haben.“ Wie ist es in Deutschland? „Schlecht! Das Land wird gerade an den Westen verkauft. Aber das ist nur eine Episode. Die Deutschen wollten den Nationalsozialismus, das hört nicht plötzlich auf!“

„Was hast du in Auschwitz getan?“

Mengeles Familie, reiche Unternehmer in Günzburg, hat Mitte der 1950er alles im Griff. Sie meint, Josef könne ruhig zurückkehren. „Alte Kader sitzen in den höchsten Justizkreisen, die tun dir nichts.“ Aber das traut sich der Auschwitz-Arzt dann doch nicht.

Was den Film kompliziert macht, sind die Zeitsprünge. Gerade noch saß Josef in Günzburg am Esstisch, schon feiert er mit Martha und NS-Granden in Südamerika Hochzeit. Und in der nächsten Szene wird der alte, kranke Mengele in São Paulo von seinem Sohn Rolf besucht. Hin und her, vor und zurück geht das. 

Etwa zur Mitte des Films gibt es dann die schlimmsten Bilder. Auf Rolfs Frage „Was hast du in Auschwitz getan?“ erinnert sich Mengele. Diese Szenen sind in Farbe und mit lieblicher Musik unterlegt – vermutlich, um zu zeigen, dass Auschwitz für Mengele eine glückliche Zeit war: Untersuchungen, Experimente, und wenn man für Autopsien Leichen braucht, ordnet man Erschießungen an. Alles zum Wohle der Wissenschaft und der Volksgesundheit. 

Nach und nach erschließt sich im Film, wie Gerüchte entstanden, Mengele habe den Krieg doch überlebt. Wie er erst nach Paraguay flieht, dann nach Brasilien. Wie er nach der Verhaftung von Adolf Eichmann im Mai 1960 fürchtet, dass die Israelis auch ihm auf die Schliche kommen. Wie sich die Schlinge zuzieht, aber Mengele, unterstützt von Freunden und Familie, doch nie gefasst wird. Und wie er am Ende, 1979, beim Baden im Meer einen Schlaganfall erleidet und stirbt.

Der Film zeigt eindrucksvoll die Selbstverständlichkeit, mit der sich die NS-Bonzen in Südamerika feiern. Wie unbelehrbar sie sind. Und wenn sie das großdeutsche Reich, die deutsche Familie und die Überlegenheit der arischen Rasse beschwören, beschleicht einen unwillkürlich eine Sorge. Die Sorge, dass es einige Menschen im Kino geben könnte, die in diese Phrasen gerne einstimmen würden: „Jedes große Volk braucht einen Führer“ ... „Deutschland war in Gefahr, wir mussten unsere Natur verteidigen“ ... „Es wird eine Zeit kommen, da steht das deutsche Volk wieder auf.“ Gruselig.

Susanne Haverkamp

Das Verschwinden des Josef Mengele. Mit August Diehl. Regie: Kirill Serebrennikov. Kinostart: 23. Oktober. Länge: 135 Min.

Foto: LupaFilm/CG-Cinema/HypeStudios