Anstoß 11/2025

Die Weisheit der Alten

Anstossbild
Langsam erreiche ich anscheinend ein Alter, in dem ich im Fleischereifachgeschäft mit „junge Frau“ angesprochen werde und man sich beim Bäcker erkundigt, ob die Brötchen eher knackig oder doch weich sein sollen.

Portrait Christina Innemann
Christina Innemann
Katholische Polizeiseelsorgerin in Mecklenburg-Vorpommern

Ich versuche das mit Anfang 40 mit Humor zu nehmen. Älter zu werden, bringt auch Vorteile mit sich: So kann ich etwa mit einigen Situationen entspannter umgehen als noch vor zehn oder 20 Jahren.

Je älter ich werde, desto bewusster wird mir, wie wichtig die Älteren in meinem Umfeld sind. Ich erinnere mich häufiger an Aussprüche meiner über 90-jährigen Großmutter, an schlaue Sätze meiner Eltern. Vor kurzem habe ich erfahren, dass ein alter Herr, den ich 2015 in der Flüchtlingsarbeit kennenlernte, gestorben ist. Da ploppten Erinnerungen an Gespräche auf, an die ich lange nicht mehr dachte. Mir wurde bewusst, wie sehr mich die kurze Begegnung geprägt hat und wie viel davon ich seitdem in meinem Leben versuche, umzusetzen.

Das Vermächtnis alter Menschen ist wichtig für unsere Gesellschaft, für unsere Kirche und für unsere Familien. Das bedeutet nicht, dass wir alles unkritisch übernehmen sollten. Aber es lohnt sich, jahrzehntelange Erfahrungen in Ruhe anzuhören. Bei Levitikus heißt es: „Vor ergrautem Haar sollst du aufstehen und einen Alten sollst du ehren.“ Ich finde, das ist ein schöner Satz. Bewusst wurde mir das auch bei der Wahl des neuen Papstes. In den Medien wurde im Vorfeld über das Alter möglicher Kandidaten spekuliert. Ich schaue positiv auf den 69-jährigen Leo XIV. und wünsche mir, dass seine Lebenserfahrung das Ausfüllen seines neuen Amtes erleichtert. Ich hoffe auf Weisheit und eine innere Freiheit des neuen Papstes, mit den Herausforderungen der Weltkirche klug umzugehen.

Christina Innemann