Einheits- und Freiheitsdenkmal in Leipzig
1989 soll Hoffnung für heute schenken
Foto: imago/Eckehard Schulz
Rückblick: Leipziger Bürger gedenken der Friedlichen Revolution von 1989.
Der 9. Oktober 1989 war ein Schlüsselmoment der deutschen Geschichte. Mehr als 70 000 Menschen besiegten an diesem Montag in Leipzig ihre Angst vor staatlichen Repressionen. „Wir sind das Volk“, skandierte die Menge und forderte Freiheit und Demokratie. „Da war ich als eine von vielen mit dabei“, sagt Gesine Oltmanns, die Ehrenvorsitzende der Stiftung Friedliche Revolution. Diese Bescheidenheit wird der Lebensleistung Oltmanns kaum gerecht. Die evangelische Christin hat die Proteste maßgeblich mit angestoßen, an deren Ende eine Diktatur und die jahrzehntelange Teilung Deutschlands überwunden wurden.
Wenige Wochen zuvor, am 4. September 1989, hatte die damals 24-jährige Oltmanns gemeinsam mit der Künstlerin Katrin Hattenhauer in Leipzig ein Transparent entrollt; damals trauten sich in der DDR nur die wenigsten, ihre politischen Überzeugungen offen zu vertreten. „Für ein offenes Land mit freien Menschen“ stand auf dem Plakat. Die Aktion wurde zwar rasch von der Stasi beendet. Doch die Fernsehbilder davon gingen um die Welt. Vielen gilt die Szene als Geburtsstunde der DDR-weiten Montagsdemonstrationen.
Nun soll der weltweit einzigartigen Friedlichen Revolution am Wilhelm-Leuschner-Platz in Leipzig ein Denkmal gesetzt werden. Als Projektleiterin dafür verantwortlich ist Gesine Oltmanns. „Ich habe den künstlerischen Wettbewerb organisiert und bei Anhörungen immer wieder versucht, möglichst viele Menschen mitzunehmen“, sagt sie.
Am 9. Oktober wird der Grundstein für das Denkmal gelegt. Offiziell eingeweiht werden soll es drei Jahre später. Bis dahin wird der Platz, der heute noch eine Asphaltwüste ist, nach und nach zu einem Park mit Fahnen und Bannern umgestaltet. Darauf soll nichts stehen. Genau diese Offenheit macht für Oltmanns den „großen Charme des Entwurfs“ aus. Der wortlose Protest „soll eine Brücke schlagen zu anderen, noch immer bestehenden Diktaturen, etwa in China, Russland oder Belarus“, erklärt die einstige Bürgerrechtlerin. Dort könne man sich, ähnlich wie früher in der DDR, bis heute politisch nicht frei äußern. In Russland hielten Oppositionelle daher zuletzt oft nur ein weißes Blatt Papier hoch.
Aufgewachsen ist Oltmanns in einem protestantischen Elternhaus im Erzgebirge. Ihr inzwischen verstorbener Vater war Pfarrer. Schon als 13-Jährige „musste ich erleben, wie mein älterer Bruder politisch verhaftet und anschließend zu zwei Jahren Haft wegen staatsfeindlicher Hetze verurteilt worden ist“, erzählt sie. 1978 hatte jener Bruder in Ostberlin das sogenannte Spiegel-Manifest der DDR-Opposition an Freunde verteilt. „Das hat mich schon früh stark politisiert“, erinnert sich Oltmanns.
Montags war das Friedensgebet
Als 15-Jährige weigerte sie sich, am Wehrunterricht teilzunehmen. Auch bei den Pionieren oder der FDJ machte sie aus Protest gegen „die Militarisierung und Uniformierung der DDR-Gesellschaft und der Jugend“ nie mit. „Dafür habe ich oft Probleme mit der Schulleitung bekommen.“ Ein Studium wurde ihr verweigert.
1983 zog Oltmanns nach Leipzig. „Wir haben uns verhältnismäßig frei unter dem Dach der Kirche versammelt“, sagt sie. „Montags war unser allwöchentliches Friedensgebet.“ Oltmanns beteiligte sich an Friedensmärschen und forderte demokratische Grundrechte ein. Im Januar 1989 wurde sie verhaftet und zehn Tage lang von der Stasi verhört. Nach einer „riesigen Welle der Solidarität national sowie international“, so Oltmanns, kam sie wieder frei.
Nach der Wende arbeitete sie in der Gauck-Behörde und in der Bundesstiftung für die Aufarbeitung der SED-Diktatur mit. Seit 2009 ist sie in der Stiftung Friedliche Revolution aktiv, heute als Ehrenvorsitzende. Vor allem die politische Bildungsarbeit liegt ihr als Mutter von neun Kindern am Herzen. Sie geht an Schulen, organisiert Zeitzeugengespräche, nimmt regelmäßig einen Podcast auf und war auf der Leipziger Buchmesse präsent. Auch eine Kino-Reihe sowie die Ausstellung „DDR in Aufruhr“ organisierte die Ehrenbürgerin der Stadt Leipzig mit.
Durch ihr Engagement und das Freiheitsdenkmal möchte Oltmanns „die Geschichte mit gegenwärtigen Herausforderungen verbinden und den Menschen zeigen, dass Veränderungen auch unter schwierigen Bedingungen möglich sind“. Vor allem „die neuen autokratischen Kräfte in Deutschland und europaweit“ sind ihr ein Dorn im Auge. „Die Abschaffer der Demokratie stellen infrage, was 1989 im Osten erst mit existenziellem Einsatz erkämpft wurde“, sagt Oltmanns mit Blick auf die AfD. Dagegen sei heute, ähnlich wie damals, gemeinschaftliches Aufstehen gefragt: „Aus dem Moment der Freiheit von 1989 können wir Hoffnung für die Zukunft ableiten.“