Interview
„Wir haben keine Zeit, pessimistisch zu sein“
Foto: Marco Heinen
Weihbischof Eberlein beim Interview in seinem Hamburger Amtszimmer.
Horst Eberlein wurde am 25. Oktober 1950 in Walsleben bei Goldbeck in der Altmark als fünftes von sechs Kindern geboren. Weil die Mutter, eine Vertriebene aus dem ostpreußischen Ermland, nach seiner Geburt erkrankte, wuchs Horst Eberlein bei Verwandten in Dobbertin auf. „Da habe ich meine Heimat gefunden“, sagt er – während der Rest seiner Familie im Westen lebte, wohin der Sohn ab 1959 nicht mehr reisen durfte. „Die Katholiken waren in der DDR damals in der Minderheit. Schon als Kind machte ich die Erfahrung, je stärker die Diaspora, umso stärker ist der Zusammenhalt. Später spielte dann natürlich auch die Ökumene eine Rolle“, erinnert sich Eberlein beim Interview in seinem Hamburger Büro.
„Du bist auf der Seite von Menschen, die stark sind.“
Sein Abitur machte er am Bischöflichen Vorseminar in Schöneiche bei Berlin. „Natürlich war eine gewisse antichristliche Atmosphäre überall, aber in Schöneiche, da waren wir unwahrscheinlich frei im Denken; da gab es keinen staatlichen Einfluss.“ Als Student unter katholischen und evangelischen Christen war sein Empfinden später: „Du bist auf der Seite von Menschen, die stark sind – für das, was kommt und stark sind auch gegenüber dieser Ideologie. Wir waren keine großen Helden, wir waren einfach Christen. In mir war immer die Hoffnung, das bessere Gepäck zu haben, das mich durch das Leben bringt.“
Herr Weihbischof, Sie haben Papst Leo XIV. Ihren Rücktritt angeboten, weil Sie am 25. Oktober 75 Jahre alt werden. Welche Gefühle begleiten Sie, wenn Sie morgens die Post durchsehen?
Wenn ich zum Briefkasten gehe, denke ich nicht: Es liegt ein Brief aus Rom drin. Ich glaube, dass der 25. Oktober ein wichtiger Termin ist, wo etwas passieren wird. Aber es wird mündlich geschehen. Seit ich in dieses letzte Jahr hineingegangen bin, war mir immer bewusst: Das ist alles das letzte Mal, was du tust; die Orte, die du besuchst. Und manchmal melden sich die körperliche und die geistige Kraft oder die Schwächen, die man feststellt, und erinnern einen daran, dass es soweit ist. Ich freue mich wirklich sehr, dass ich meinen Kalender nicht mehr so gefüllt habe. Dahinter kommt aber noch die Frage, wie wird es dann sein, wenn das alles nicht mehr so ist? Da bin ich gespannt.
Fluchterfahrung gehört zu Ihrer Familiengeschichte. Wie blicken Sie auf die Menschen, die zu uns kommen?
Ich denke jetzt stärker darüber nach als früher. Mittlerweile weiß ich, was meine Mutter erduldet hat auf der Flucht. Insofern ist meine Grundhaltung gegenüber Menschen aus Syrien, Afghanistan, dem Sudan oder der Ukraine nicht Abwehr, sondern Trauer – dass Menschen so etwas durchmachen müssen. Es ist ein positives Mitempfinden. Wir können sie nicht wieder nach Hause schicken. Wir müssen ihnen helfen. Das hängt vielleicht wirklich damit zusammen, dass unsere ganzen Verwandten eine Zeit der völligen Hauslosigkeit erlebt haben und davon geprägt sind – ein Leben lang.
Sie wurden 1977 in Waren von Bischof Heinrich von Theissing zum Priester geweiht. Sie waren in Wittenburg, Neubrandenburg und Friedland. Dann kam die Wiedervereinigung und sie haben Pfarreien in Hagenow und Rostock geleitet. 1995 wurde das Erzbistum gegründet. Was war für Sie als Pfarrer in dieser Zeit des Wandels am prägendsten?
Prägend war für mich die Erfahrung, dass eine Beklemmung wich. Wenn zur DDR-Zeit jemand, den ich nicht kannte, an der Haustür klingelte, war immer der erste Gedanke: Wer ist diese Person? Ist sie geschickt oder braucht sie wirklich Hilfe? Also, dieses Misstrauen, weil die Stasi auch Leute an die Türen geschickt hat. Die kamen dann und sagten: Ach, haben sie nicht einen Text mit den Menschenrechten, ich will mich darauf berufen, um einen Ausreiseantrag zu stellen. Diese Freiheit, Besuchern mit Offenheit zu begegnen und nicht daran zu denken, der könnte von der Stasi geschickt sein, das war eine ganz wesentliche Veränderung, auch in der Seelsorge.
Und was noch?
Die Freiheit der Rede, die habe ich als unwahrscheinlich beglückend empfunden. Und das Engagement von vielen, vielen Menschen, die bereit waren, etwas zu tun, auch in Richtung Stasi-Aufarbeitung. Das war ja alles noch nicht abgesichert. Das hat mich sehr beeindruckt. Und natürlich die Erfahrung, dass Menschen in den ersten Monaten nirgends sonst ein Dach suchten als in den Kirchen. Sie hätten ja ebenso auf den Sport- oder Marktplatz gehen können, was später teils der Fall war. Aber am Anfang waren es die Kirchen.
Kirchen spielten bei der Wende eine herausragende Rolle, auch die katholische Kirche?
Meine Erfahrung ist nicht, dass die katholischen Gemeinden sich zurückgehalten haben. Ich kann nur die Situation in Neubrandenburg und Friedland beurteilen. Da sind wir in die große evangelische Kirche in Friedland gegangen. Da kein evangelischer Pastor vor Ort war, wurden der evangelische Pastor aus irgendeinem Nachbarort und ich angefragt. Das war ein völliges Miteinander, nicht ein Nicht-Dabei-Sein. Das war ein wirklich ökumenisches Geschehen. Dieses Sich-Verbinden, das war ganz stark.
2009 wurden Sie Pfarrer in Schwerin und 2013 wurde noch unter Alterzbischof Werner Thissen der Prozess zur Bildung pastoraler Räume auf die Schiene gesetzt, innerhalb der Kirche wieder eine Zeit des Umbruchs. Haben Sie damals gesehen, das dies nicht das Ende der Reformen sein würde – Stichwort: Projekt Sendung und Sammlung?
Nein. Dieser Blick auf die großen Gemeinden, pastoralen Räume und eine Möglichkeit, diese Räume zusammenzusehen und nachzudenken, wo künftig unsere geistliche Nahrung herkommt, das habe ich so nicht gesehen. Was ich damals oder schon früher festgestellt habe: Es geht nur über Zentren. Es ist die Aufgabe, diejenigen, die nicht im Zentrum leben, zu stärken und sie nicht zu vergessen. Ich glaube, es war der Erfurter Bischof Joachim Wanke, der zu tiefsten DDR-Zeiten mahnte, in die Stadt zu ziehen. Er meinte nicht, das ganze Eichsfeld solle nach Heiligenstadt ziehen. Sondern, wenn Christen weit weg ziehen, sollen sie sich überlegen, ob sie dort als Christen leben können. Denn es gehört ja schon zur Erfahrung der Urkirche, dass christlicher Glaube sich zuerst in der Stadt gefunden hat.
Wie sehr sorgen Sie sich um die Zukunft der Katholiken in der Diaspora?
Die Zahlen lassen uns sorgen. Wenn ich sehe, wie viele Menschen aus Mecklenburg wegziehen, frage ich mich, was in 50 Jahren sein wird. Wenn die Christen vom Land weg sind, dann kommt Christentum nicht mehr vor. Ich glaube, wir werden noch mehr eine Kirche sein, die unterwegs sein muss, beweglich sein muss und untereinander in irgendeiner Weise Kontakt hat, Glaubenskontakt – als diejenigen, die auf dem Weg Jesu sind. Wir haben keine Zeit, pessimistisch zu sein.
Haben Sie je gehofft, selbst ein Bistum zu leiten?
Die Antwort ist leicht. Ich bin oft bei Firmungen gefragt worden, ob ich Bischof werden wollte. Ich habe immer gesagt: Wer Bischof werden will, sollte nicht Bischof werden. Davon bin ich überzeugt. Es ist sicher nichts Böses, aber wenn einer so etwas anstrebt, ist das eigentlich kein guter Weg. Ich finde es richtig, wenn einem gesagt wird, vom Bischof oder vom Personalchef: Ich brauche dich dort. Mich hat das unwahrscheinlich frei gemacht.
Haben Sie Pläne für die Zukunft?
Ich bin mir bewusst, wie alt ich bin. Ich weiß auch, wie schnell Gesundheit nicht mehr sein kann. Ich hoffe auf eine Zeit voll innerer Dankbarkeit und Gelassenheit und Zeit. Zeit, in Ruhe zu lesen, für Kultur generell. Zeit, in der Natur zu sein. Ich habe einen guten Ort bei guten Bekannten, ein kleines Häuschen am See. Da kann ich auf’s Wasser schauen und angeln. Wasser ist für mich immer faszinierend, besonders der Blick auf einen See. Und ich denke an meine vier noch lebenden Geschwister mit ihren Familien, dass ich dafür intensiver Zeit habe. Und, so lange ich kann, will ich natürlich das leben und tun, was ich getan habe: Gottesdienst feiern, das gehört für mich wie auch das Breviergebet dazu. Und so lange es geht, will ich Vertretungen machen. Bevor es einen Nachfolger gibt, womit ich sehr stark rechne, werde ich ja noch die Firmung machen dürfen.
Bleiben Sie künftig in Hamburg?
Ja, ich fühle mich hier gut und bin hier gerne. Das Einzige, was mich sehr bekümmert, ist die Not der Obdachlosen und Rauschgiftsüchtigen. Ich sehe jeden Abend, wie sie unter den Arkaden des Hauses der kirchlichen Dienste in St. Georg ihr Nachtlager aufschlagen. Es nicht wirklich ändern zu können, das ist wie ein Stachel.