Vergessener Kirchenkünstler Christof Grüger

„Nicht ohne Gott“

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Glasgestaltung der Kirche Unsere liebe Frau in Meiningen
Nachweis

Foto: Kunst-Kontor Schönebeck

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Je nachdem, wie das Glas behauen ist, bricht sich das Licht unterschiedlich. Christof Grügers Gestaltung der Kirche Unsere liebe Frau in Meiningen.

Zahlreiche Kirchen in Ost- und Westdeutschland hat der Künstler Christof Grüger zu Lebzeiten gestaltet. Dabei hat er die Kirche nicht nur als Raum, sondern auch als Ort des Glaubens und der Gemeinde in den Blick genommen.

Das Glas fühlt sich kühl an, glatt und scharfkantig. Rauer, körniger Beton trennt die bunten Glasbrocken voneinander. Und doch ergeben sie zusammen ein Bild aus tröstlichem Blau und warmem Orange. Christof Grüger hat dieses kleine Kunstwerk geschaffen, das ganz unscheinbar in einer Ecke der St. Jakobi-Kirche in Schönebeck, seiner Wahlheimat, steht.

Doch nicht nur hier – seine sakrale Glas- und Textilkunst findet sich in vielen Kirchen insbesondere der ehemaligen DDR, aber auch in Freiburg im Breisgau zum Beispiel. Die ungewöhnlichen Kirchenfenster mit Industriemotiven in der Herz-Jesu-Kirche Bitterfeld gestaltete er ebenfalls. „Christof Grüger zählte zu den größten Künstlern Mitteldeutschlands“, sagt Susanne Kalisch – und bedauert, dass er dennoch relativ unbekannt sei.

künstlerisch gestaltetes Messgewand
Nicht nur Glaskunst: Christof Grüger gestaltete Mosaike, Gewänder und fertigte große Batiken in der Badewanne in seiner Galerie an.
Foto: Privat

Der 2014 verstorbene Künstler stammte aus Schlesien und kämpfte als junger Mann im zweiten Weltkrieg an der Front.  Später, in der DDR, konnte er sich vor Aufträgen kaum retten. Er war das jüngste Kind einer Künstlerfamilie, sagt Frank Pudel. Er und Susanne Kalisch sind die Inhaber der Galerie Kunst-Kontor in Schönebeck an der Elbe. Lange Zeit sei Grüger nicht zum Verband Bildender Künstler der DDR zugelassen worden, erzählt er. Aus zwei Gründen: Christof Grüger war kein studierter Künstler, sondern hatte das Studium nach einem Jahr abgebrochen. Außerdem war er bei einer Bildungsreise in den Schwarzwald ausgeschert; statt sich an seine Gruppe ostdeutscher Reisender zu halten, schloss er sich einer Gruppe Westdeutscher an, für die eine andere Reiseroute geplant war. Auf dieser Route lernte er erstmals Betonglasfenster kennen – die er später, so Kalisch, berühmt machte.

Beim Betonglasmalen legt der Künstler zuerst Glasklumpen in einem Rahmen auf dem Fußboden so zurecht, dass sie ein Bild ergeben. In die Zwischenräume gießt er anschließend den Beton, der das Bild zusammenhält, erklärt Frank Pudel. Bei einem Stadtplanungsprojekt zu Glaskunst stieß er auf Christof Grügers Kunst. Er und Kalisch wurden Feuer und Flamme für die Glasmalerei, reisten durch Deutschland und besuchten die evangelischen und katholischen Kirchen, die der katholische Künstler gestaltet hat. Die dort entstandenen Fotos stellten sie zunächst in ihrer Galerie aus. Dabei geben die Fotos gar nicht richtig wieder, wie Grügers Fenster in echt wirken, bedauern die beiden. „Beim Betonglasmalen werden die einzelnen Glasbrocken behauen“, sagt Susanne Kalisch, „und jedes Mal, wenn ein Stück davon abplatzt, bricht sich das Licht, das hindurch fällt, anders.“

die Kuratoren Susanne Kalisch und Frank Pudel
Susanne Kalisch und Frank Pudel betreiben die Galerie Kunst-Kontor in Schönebeck (Elbe). Für den Fotoband über Christof Grüger sind sie durch ganz Deutschland gereist.
Foto: Johanna Marin

Die beiden bewundern Grügers Arbeitsweise. Er hat nicht auf Glas gemalt, sondern mit Glas – wobei beide Methoden „Glasmalerei“ genannt werden. „Bei seiner Methode sprechen die Farben für sich“, sagt Pudel, „das macht ihn so zeitlos.“ Der Künstler ist mehrfach zu den Kirchen, für die er die Fenster baute, gereist, weiß Susanne Kalisch, die Grügers Nachlass nach Briefwechseln, Kassenzetteln und Auftragsdokumenten durchforstet hat. Dort habe er beobachtet, wie das Licht zu unterschiedlichen Zeiten durch die Fenster fällt. Der Sinn eines solchen Fensters sei zum einen, den Kirchraum zu erhellen, sagt Pudel. Andererseits, hakt Kalisch ein, sollten sie auch Bilder darstellen, über die der Pfarrer predigen kann.

Christof Grüger setzte sich mit den Gemeinden, für die er Kunst schuf, auseinander – und mit seinem Glauben, sagen die Galerie-Inhaber. „Das himmlische Jerusalem und der brennende Dornbusch waren für ihn wichtige Motive“, sagt Frank Pudel. Während des Kalten Krieges habe er außerdem auch mehrere Darstellungen der Apokalypse geschaffen. In seinen Bildern verarbeitete er dabei auch seine eigenen Kriegserlebnisse.  Außerdem ließ er sich von klassischer Musik inspirieren. „Die lief immer ohrenbetäubend in allen Räumen“, weiß Frank Pudel von Grügers Freundeskreis. Persönlich kennengelernt hat er ihn nie. Dennoch wissen die beiden Kuratoren durch die akribisch geführten Aufzeichnungen des Künstlers, wie die Kunstwerke entstanden und welche Bedeutung der Glaube für Christof Grüger hatte. „Er war sehr naturwissenschaftlich interessiert, und gleichzeitig sehr gläubig. So hat er sich seine eigene Weltanschauung zurechtgelegt“, sagt Pudel, „er glaubte an die Evolution – aber eben auch die Evolution des Geistlichen. Alles wird irgendwann eins werden im himmlischen Jerusalem.“ „Ja, er glaubte an eine Evolution“, fügt Susanne Kalisch hinzu, „aber nicht ohne Gott.“

Johanna Marin
Eine Sammlung von Grügers Werken mit Beschreibungen des Künstlers können Sie im Fotoband „Christof Grüger – Meister der Glas- und Textilkunst“ (von Frank Pudel, Susanne Kalisch, Matthias Röhricht; Mitteldeutscher Verlag; ISBN 978-3-96311-980-4; 40 Euro) sehen. Frank Pudel und Susanne Kalisch bieten Buchvorstellungen an. Kontakt: www.kunst-kontor.info oder 01 75 / 7 26 43 05