Ermutigung für Gläubige

„Leb selber Kirche“

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Weihnachtsgottesdienst im Stall des Schippers Hof in Alpen Veen
Nachweis

Foto: imago/Funke Foto Services

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Pater Reinhard Körner regt Gläubige an, selbstständig auf die Suche nach religiösen Gruppen oder Gemeinden zu gehen, die Kirche so leben, dass es sie anspricht. Solch ein besonderer Ort kann auch ein Stall sein. Um dort an einem Weihnachtsgottesdienst teilzunehmen, fahren die Gläubigen teils mehrere Stunden.

Der Karmelit Pater Reinhard Körner appelliert an Gläubige, sich angesichts der Kirchenkrise nicht entmutigen zu lassen. Er fordert sie auf, selbst das zu leben, was Kirche für sie ausmachen sollte.

Sie schreiben in Ihrem Buch, dass Sie sich schon in den 1980er Jahren die Frage stellten: „Passen wir noch zusammen, die Kirche und ich?“ Statt der Tiefe und Weite des Konzils, die Ihnen im Theologiestudium nahegebracht worden waren, nahmen Sie im kirchlichen Leben zunehmend spirituelle Oberflächlichkeit und geistige Enge wahr. Was verbindet Ihre damalige Situation mit der heutiger Christen, die einen Kirchenaustritt erwägen und was unterscheidet sie?

An der zunehmenden Verflachung des Glaubens, die nicht zuletzt von Rom ausging, litten damals viele: Gläubige in den Gemeinden wie auch Priester, Ordensleute und in der Seelsorge Tätige. Ein Bischof brachte seine Sorge auf die Formel: „Zu viel Kirche, zu wenig Jesus Christus“. 
Schlicht gesagt, sie wollten – wie ich auch – nach dem Evangelium leben, in der Lebenswelt der Menschen unserer Zeit und in persönlich-innerlicher Beziehung zu Jesus Christus, orientiert an geistlichen Vorbildern wie Franz von Assisi, Teresa von Ávila oder auch Dietrich Bonhoeffer, die in den 1970er Jahren wiederentdeckt worden waren (bei mir vor allem Johannes vom Kreuz). Wir wollten nicht Kirchenmenschen, sondern Gottesmenschen in der Kirche sein, also das leben, was Kirche im Kern eigentlich ausmacht.
Schon damals sprach man von einer „Verdunstung des Glaubens in der Gesellschaft“ und machte dafür die „moderne Zeit“ verantwortlich. Heute wird immer mehr Christen bewusst, dass ein wesentlicher Grund für diese Entwicklung die Verdunstung des Glaubens in der Kirche selbst ist. In der Art und Weise, wie die Gottesdienste gestaltet werden und wie über Glaubensfragen gepredigt und argumentiert wird, finden sie kaum noch Nahrung und Halt für ihr Leben. Hinzu kommt, dass viele in den Großraumpfarreien, die seit den 2000er Jahren gebildet wurden, schon rein menschlich ihre religiöse Beheimatung verloren haben.

„Leb selber Kirche“ ist Ihr Rat an alle, die in der Kirche zu viel Anstößiges und zu wenig Heilsames erfahren. Sie lassen anklingen, dass Sie diese Erkenntnis selbst nach der Reflektion ihrer Beziehung zur Kirche in den 1980er Jahren gezogen haben. Wie haben kirchlich Verantwortliche und Weggefährten auf Ihre veränderte Art des Kirche-Seins reagiert?

Mit dem Wort „Leb selber Kirche“ will ich sagen: Klag nicht nur und resigniere nicht, sondern leb, so gut du kannst, selbst, was Kirche ausmacht! Dafür wirst du zwar nicht bei allen Verständnis finden, aber du findest dann viele – mehr als du denkst auch unter den „kirchlich Verantwortlichen“ –, mit denen du gern Kirche sein wirst. Auch mir ist es so ergangen und ergeht es so.

Sie empfehlen Menschen, die ohne Kirchenmitgliedschaft in Verbindung mit Gott und Jesus Christus leben wollen, dies in Gemeinschaft zu tun. Wie findet man katholische Gemeinschaften, die Ausgetretene willkommen heißen? 

Buchcover "Leb selber Kirche"
Reinhard Körner: Leb selber Kirche 
St. Benno Verlag; ISBN 978-3-7462-6469-1; 
7,95 Euro
Auf vivat.de bestellen: Bestellnummer 1064691 – Die neue Auflage des Buches ist in Kürze erhältlich.

Meiner Kenntnis nach gibt es viele solcher Gruppen und Kreise in der katholischen wie auch evangelischen Kirche, auch ganze Kirchengemeinden mit ihren Seelsorgern. Wer sie sucht, findet sie, wenn auch nicht immer in unmittelbarer Nähe. 
Leider ist vielen „Ausgetretenen“ und den meisten Gläubigen und „kirchlich Verantwortlichen“ nicht bewusst, dass aus der Sicht des Glaubens ein „Austritt“, der formell ja ohnehin nur in wenigen Staaten (wie Deutschland) möglich ist, nicht bedeutet, dass man nicht mehr zur Kirche gehört. 

Sie raten ihnen auch, Angebote geistlicher Vertiefung zu nutzen und dabei zu überprüfen, ob es sich um gesunde Nahrung handelt. Wie können sie das herausfinden und was schult möglicherweise ihren Geschmackssinn? 

Auch hier gilt die Grundregel der „Unterscheidung der Geister“: Alles, was Leben stärkt, was aus der Enge in die Weite führt, was aufbaut – mich und zugleich die anderen –, das entspricht dem Geist Gottes. Alles, was eng macht und Angst macht, was der Vernunft und der Mitmenschlichkeit widerspricht, das entspricht dem Geist Gottes nicht, auch wenn es sich fromm anhört und „gut katholisch“ klingt, eine lange „Tradition“ hat oder eine amtliche Autorität es äußert; und auch nicht immer, wenn es sich „gut anfühlt“. „Traut nicht jedem Geist, sondern prüft die Geister, ob sie aus Gott sind“ (1 Joh 4,1), sagt das Neue Testament. 
Leider ist lange Zeit zu wenig beachtet worden, dass jeder Christ, ja jeder Mensch, die „Gabe der Unterscheidung der Geister“ in sich trägt. Statt die Menschen zu lehren, wie sie diese Fähigkeit entwickeln und anwenden können, gaben ihnen die Seelsorger nur allzu gern gleich selbst vor, was wahr ist und was nicht. Das Gespür, das „Heilige“ vom „Schein-Heiligen“ unterscheiden zu können, entwickelt sich durch selbstkritische Ehrlichkeit und durch den Sinn für das Menschliche und Mitmenschliche. Und letztlich dadurch, dass zwischen Jesus Christus und mir wirklich „was läuft“. Sehr wichtig ist dabei auch der ehrliche Austausch im Gespräch mit anderen – was einer der Gründe dafür ist, warum man Kirche selbst leben muss, aber nicht allein leben kann.

Ihr Kriterium für Zugehörigkeit zur Kirche ist die Offenheit gegenüber Gott. Finden Jesusnachfolger, die in diesem Sinne Kirche leben, auch den Weg zu den geistlichen Angeboten Ihres Klosters? Wenn ja: Wie erleben Sie das Miteinander zwischen diesen Menschen und anderen, die ihr Kirche-Sein stark über kirchliche Strukturen und Traditionen definieren?

Zu den Seminaren und Exerzitienkursen in unserem Kloster kommen die einen wie die anderen, aus dem gesamten deutschen Sprachraum, darunter auch Priester und Seelsorgerinnen und seit Jahren zunehmend „Ausgetretene“ und solche, die mit sich ringen. Es ist beeindruckend, wie offen sie miteinander ins Gespräch kommen. Viele Freundschaften und „geistliche Netzwerke“ entstehen – Kirche geschieht. 

Dorothee Wanzek