Das "Ethik-Eck": Jetzt alle mit E-Auto?

Autofahren – ethisch betrachtet

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Die Frage lautet diesmal: „Drei meiner Freunde haben sich ein E-Auto gekauft. Ich finde, dass diese Technik auch nicht umweltschonend (Rohstoffe) genug ist. Wäre es nicht besser, wegen des Klimas ganz aufs Autofahren zu verzichten?“



„Start small, but start“
Greta Thunberg, Fridays for future, Klimakrise – diese Wörter sind bei all den aktuellen Nachrichten ein wenig in den Hintergrund der medialen Öffentlichkeit getreten, auch wenn das Anliegen weiter dringend und wichtig ist.
Ich bin ehrlich: Mit Autos kenne ich mich nicht gut aus. Ich gehöre zu den Menschen, die eher nach der Farbe des Autos fragen, anstatt die Motorleistung oder die Verbrauchszahlen zu analysieren. Das was ich weiß ist, dass Autofahren Energie verbraucht, die von begrenzt vorhandenen und kostbaren Rohstoffen kommt, und dass die Ökobilanz eines Produkts nicht allein vom Verbrauch abhängt. Aber wo kann ich in Sachen Klimawandel ganz praktisch die Grenze ziehen? Keinen Urlaub mehr mit dem Flugzeug? Fahre ich mit dem Auto zur Arbeit oder fahre ich mit dem Fahrrad – wenn es denn geht?
Ist es eigentlich ökologisch „safe“ (sicher), wenn ich Wasser in Plastikflaschen kaufe? Darf man eigentlich noch Windeln benutzen? Ja, so kleinschrittig und oft auch überfordernd kann das Thema im Alltag werden. Es gibt viele Influencer in den sozialen Medien, die Produkte aus dem Supermarkt selbst herstellen.
Bei all den Fragen bekomme ich schnell ein schlechtes Gewissen: Ja, ich bin zu schlecht informiert. Es kommt mir manchmal so vor, als könnte ich mich nur falsch entscheiden und wäre ein schlechter Mensch. Insgesamt erlebe ich die Auseinandersetzung rund um die Themen Nachhaltigkeit und Klima zwar als absolut notwendig und dringend, aber eben auch immer aufreibend. Ich vermute, dass es vielen so geht.
Abgesehen davon, dass es total in Ordnung ist, sich nicht mit allem im Detail auszukennen, bleibt es doch meine Verantwortung, mich ausreichend zu informieren. Jetzt ein E-Auto oder später – oder gar kein Autowechsel? Darauf habe ich keine eindeutige Antwort. Kann gut sein, dass der nächste Schritt erst in drei Jahren ansteht. Mir scheint es aber wichtig, dass ich nicht nur davon spreche, was zu ändern, sondern anzufangen: „start small, but start!“ – fange klein an, aber fang’ an.
Das beginnt vielleicht dabei, einen Plan für mich zu entwickeln oder meine Freunde zu fragen, welche Schritte sie schon in dem Thema gegangen sind.
Oder ich starte eine ausführliche und auf meine Situation stimmige Recherche über Lieferketten, Produktionsbedingungen und Ökobilanzen, bevor ich eine Entscheidung über einen Autokauf treffe. 

Bernadette Wahl hat Theologie und Religionspädagogik studiert, ist systemische Beraterin und arbeitet für das Bistum Fulda in der Citypastoral.
 

Holprige Versuche
Fürs Klima wäre es sicher das Beste, kein Auto zu fahren und alle Wege zu Fuß oder mit dem Fahrrad zu erledigen. Aber für die Freundschaften?
Es stimmt: E-Autos haben ihre Tücken, die Herstellung braucht seltene Rohstoffe, es gibt Berichte über Ausbeutung und Kinderarbeit, die Batterieentsorgung ist noch nicht in allem geklärt. Es gibt viele Fragezeichen, die Fachleute diskutieren. Also Bedenken, die berechtigt sind. Jede Technologie hat Widerhaken, jede Veränderung und Entwicklung stellt neue Fragen.
Wenn es gegen die Erderhitzung geht, gibt es konkurrierende Ideen und verschiedene Geschwindigkeiten. Und ganz menschlich: Viele wollen etwas tun, haben aber unterschiedlich viel Energie, Geld und Zeit. Gewohnheiten zu ändern, geht nur zäh voran.
Und alle Lebenssituationen sind anders. Der eine fährt sportlich Fahrrad, die andere noch ihren alten Diesel, versucht es aber mit dem Jahresticket, wenn es irgend geht.
Die eine hat so viele Familienverpflichtungen, die sich in die Tage drängeln, der andere berufliche Termine an Orten, die weit auseinander liegen.
Das Auto hat so viele Funktionen und einen unterschiedlichen Wert für unterschiedliche Menschen. Für manche ist ihr Auto persönlich wichtig, für andere überwiegend lästig.
Was ich ein bisschen schade finde, ist das Streben nach dem Ideal, nach Perfektion.
Klappt nie. Macht aber unduldsam. Und einen misstrauischen Blick nach links und rechts – machen die anderen es gut genug?
Wenn es jemand kann, den Alltag ohne Auto hinzukriegen – wunderbar. Wenn es jemand immer wieder mal versucht, auch wunderbar. Wenn andere sich für ein Elektro-Auto entscheiden, auch gut. Wenn jemand drittes sich zu beidem nicht durchringen kann, erst mal seine oder ihre Sache! Vielleicht versucht er oder sie etwas anderes zum Klimaschutz beizutragen, was ihm mehr möglich ist und entspricht: sozialer Einsatz, veränderte Ernährung, sich politisch vor Ort reinhängen für Radwege oder bei der Aufforstungsaktion.
Oder jemand ist so mit dem Alltag gefordert, dass jetzt gerade mal gar nichts geht mit Veränderungen. Kann auch sein.
Es geht nur mit einerseits – andererseits; nicht egal, nicht die eine Lösung– sondern viele holprige Versuche.
Vielleicht statt dessen: sich in alter Freundschaft treffen auf einen Kaffee oder ein Glas und sich erzählen: Wie läuft’s denn so: mit und ohne Auto, mit altem Verbrenner oder neuem Elektroauto, mit schickem Fahrrad oder im Nahverkehr.
Und im besten Fall: sich nachher besser verstehen.

Ruth Bornhofen-Wentzel war Leiterin der Ehe- und Sexualberatung im Haus der Volksarbeit in Frankfurt.
 

Vermittelnde Haltung
Klar! Auf das Autofahren vollständig zu verzichten, wäre mit Sicherheit die klimafreundlichste und zugleich ressourcenschonendste Variante. Doch: Ist dieser Verzicht tatsächlich praktikabel? Denken wir zum Beispiel an die drei Freunde: Vielleicht sind sie aufgrund ihrer Arbeit oder der Pflege von Angehörigen auf dem Land fast notwendig auf ein eigenes Fahrzeug angewiesen, können bestimmte Wege nicht zu Fuß, mit dem Fahrrad oder Bus, Bahn … zurücklegen?
Ein völliger Verzicht lässt sich für manche Personen aufgrund ihrer Umstände kaum realisieren, ja wird mitunter als lebensferne Extremposition, als schier unumsetzbare Aufforderung erlebt. Kann die Antwort auf unbedachten Konsum und leichtfertigen Umgang mit Ressourcen daher wirklich nur in ihrer rigorosen Entsagung liegen? Schon die antike Philosophie gibt zu bedenken: Das eine Extrem (Genuss) lässt sich nicht einfach durch ein anderes Extrem (Verzicht) ablösen. Vielmehr bedarf es einer vermittelnden Haltung, sozusagen einer „Mitte in Bezug auf uns“, welche mit Aristoteles unter wachsamer Berücksichtigung der individuellen Situation anhaltend zwischen einem Zuviel und einem Zuwenig, zwischen Übermaß und Mangel zu balancieren hat. Wir haben uns um ein „rechtes“ Maß zu bemühen und dabei sensibel für unsere Lage zu bleiben.
Aufgrund dieser Charakteristika erfährt die Haltung der „Mäßigung“ heute in Überlegungen zur Umweltethik eine zunehmend hohe Wichtigkeit. Für das vorliegende Beispiel bedeutet das: Ausgehend von unserer Lebenslage müssen wir uns ernsthafte Gedanken darüber machen, inwiefern sich unser individueller CO2-Ausstoß oder ökologischer Fußabdruck reduzieren lässt. Wer nicht unbedingt auf ein Auto angewiesen ist oder dieses nur alle paar Wochen benötigt, könnte über Car-Sharing nachdenken oder auf den öffentlichen Nahverkehr umsteigen. Wer aufgrund seiner persönlichen Situation hingegen nicht auf das Autofahren verzichten kann, sollte zumindest bei der Anschaffung eines neuen Fahrzeugs ernste Abwägungen anstellen.
Ein E-Auto ist nicht für alle die ideale Lösung. Zwar stoßen E-Autos keine Emissionen aus, allerdings ist ihre Produktion aktuell noch mit dem hohen Verbrauch von Rohstoffen verbunden. Wer nur wenige Kilometer pro Jahr zurücklegt, schont das Ökosystem daher eher mit dem Kauf eines gebrauchten Benzin- oder Dieselautos. Das „mittlere Maß“ in Bezug auf uns mahnt uns also zur bewussten Maß- beziehungsweise Zurückhaltung, zur Distanzierung von bloßen Eigeninteressen – ohne dabei in sturer Gleichmacherei zu enden und die jeweilige Lebens-situation auszublenden.

Dr. Stephanie Höllinger ist Assistentin am Lehrstuhl für Moraltheologie an der Universität Mainz.