Wie ein Vater seine Trauer verarbeitet

Das Holz der Krippe ist ein Trost

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Aus Lärchenholz wollte sich der Tischler Volker Bockgrawe ein neues Bett bauen. Dann verunglückte er tödlich. Sein Vater konnte sich von den Brettern nicht trennen – und zimmerte daraus eine Weihnachtskrippe.


In den Bau des 1,75 Meter großen Krippenhauses hat Heinz-Werner Bockgrawe viel Zeit investiert.Kurz vor dem dritten Advent stellte er die Figuren auf. Foto: Anja Sabel

Heinz-Werner Bockgrawe lockert den Rindenmulch, dann stellt er die Figuren auf: Maria, Josef und das Jesuskind, einen Schäfer, mehrere Schafe und die Heiligen Drei Könige. Die Hauptrolle in dieser Krippenszenerie spielt allerdings der Stall: ein auffälliges Haus aus hellem Lärchenholz, 1,75 Meter groß, mit Spitzdach, Fenster und liebevollen Details wie Sense, Dreschflegel und Rechen im Miniaturformat. Wochenlang habe ihr Mann daran gearbeitet, sagt Theresia Bockgrawe, „bei Wind und Wetter“.

Heinz-Werner Bockgrawe aus Wallenhorst bei Osnabrück ist ein geschickter Handwerker – und ein Vater, dessen Trauer in diesem Krippenhaus steckt. Die Bretter, die der 67-Jährige verwendet hat, waren eigentlich für einen anderen Zweck bestimmt. Sein Sohn Volker, gelernter Tischler, wollte sich daraus ein neues Bett bauen. Bevor er den Plan umsetzen konnte, kam es in den frühen Morgenstunden des 22. April 2017 zur Tragödie, fünf Minuten vom Elternhaus entfernt.

Als einziger Autoinsasse tödlich verletzt

Volker Bockgrawe war mit vier Freunden im Auto unterwegs, als der Wagen in einer Rechtskurve nach links von der Fahrbahn abkam, gegen einen Baum prallte und sich überschlug. Der junge Mann wurde als einziger Insasse so schwer verletzt, dass er später im Krankenhaus starb. Er wurde nur 31 Jahre alt.

Nachts im Haus hörte Heinz- Werner Bockgrawe den Alarmwecker, denn Volker war Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr. Er dachte: „Da muss was passiert sein.“ Und im gleichen Moment ging ihm durch den Kopf: „Unser Sohn ist ja auch noch nicht zu Hause.“ Morgens um vier Uhr standen dann Rettungskräfte vor der Tür. „Da habe ich nur noch geschrien“, sagt der Vater.

Auch gut zweieinhalb Jahre später vergeht kein Tag, an dem die Eltern nicht an den tödlichen Unfall denken. Sie erzählen davon, wie schmerzlich es war, dass zunächst keiner der Beteiligten zugeben wollte, am Steuer des Suzuki Vitara gesessen zu haben. „Wir hatten nie vor, den Fahrer zu verklagen. Er ist genug gestraft“, sagt Heinz-Werner Bockgrawe.

Die Eltern bewahren vieles auf, was an ihren Sohn erinnert. Im Wohnzimmer stehen Volkers Gesellenstück, eine schlanke Kommode aus Holz, und eine kleine Krippe, die er als Zwölfjähriger geschnitzt hat. Im Flur liegt sein Motorradhelm. Überall sind Fotos, die ihn als Kind, als Jugendlichen, als jungen Mann zeigen. Sie sind auch auf dem Handy der Mutter gespeichert. Theresia Bockgrawe scrollt durch ihre Bildergalerie. „Es gibt kein Foto, auf dem Volker nicht lacht. Er war immer am Lachen“, sagt sie.

Der Sohn wohnte im Dachgeschoss des Elternhauses in einer eigenen Wohnung, wollte bald mit seiner Freundin zusammenziehen. Es sind die kleinen Dinge, die Theresia Bockgrawe vermisst. Zum Beispiel, dass Volker nach der Arbeit manchmal auf einen Kaffee vorbeikam. Oder dass er am Wochenende kurz zur Tür hereinschaute und fragte, ob er Brötchen holen soll. Das erste Weihnachtsfest nach seinem Tod, berichtet der Vater, sei schlimm gewesen. „Wir haben nicht geschmückt, keinen Tannenbaum aufgestellt – nichts!“

Inzwischen ist Weihnachten für die Familie wieder erträglich. Es gibt Geschenke, einen geschmückten Baum, und die Tochter kommt mit ihren beiden Kindern zum Essen. Doch es gehören jetzt noch neue Rituale zum Fest: der Gang zum Friedhof und zur Unfallstelle, um dort Kerzen anzuzünden. Und ein Abend mit Freunden bei Glühwein und Drehorgelmusik an der Krippe im Hof. Heinz-Werner Bockgrawe betont nicht so gern, dass der Krippenbau ein Stück Trauerarbeit war, dass er sich seinem Sohn nahe fühlt, wenn er Holz in den Händen hält. Er sagt einfach: „Die Bretter wären sonst im Ofen gelandet, das habe ich nicht fertiggebracht.“

Auch eine Tochter liegt schon auf dem Friedhof

Theresia Bockgrawe blättert manchmal noch in der Trauerpost: in den Beileidskarten von Volkers früherem Kindergarten, von seiner Schule, sogar von seiner ersten Freundin, die schrieb: „Bei euch habe ich gelernt, was Familie ist.“ Das tröstet. „Volker war nicht unser erstes Kind, das wir begraben mussten“, erzählt die Mutter. Eine Tochter, die schwerbehindert zur Welt kam, starb im Alter von zehn Jahren. „Manchmal hadere ich schon mit Gott und frage mich, warum wir so viel Leid ertragen müssen.“

Doch es gibt Menschen, die die Familie nicht alleinlassen, die sich oft melden, anrufen oder schreiben. So wie ein Paar aus Volkers Freundeskreis, das vor kurzem geheiratet hat. Theresia Bockgrawe erreichte jetzt eine WhatsApp-Nachricht mit einem Ultraschallbild und den Worten: „Wir waren beim Fotoshooting. Volker hätte es als Erster erfahren.“ Theresia Bockgrawes Augen schimmern feucht. „Natürlich tut es weh, dass Volker niemals Vater wird. Aber ich kann mich auch mit seinen Freunden freuen.“

Anja Sabel