Mit Alltagshelden den Schulunterricht bereichern

Die Heiligen von nebenan

Image
Wasserrettung
Nachweis

Foto: imago/Manngold

Caption

Ehrenamtlich Engagierte gibt es an fast jedem Ort. Hier üben freiwillige Helfer von DLRG und Feuerwehr die Wasserrettung von Verunglückten am Fühlinger See in Köln.

Der Religionspädagoge Hans Mendl sammelt die Geschichten von Menschen, die sich ehrenamtlich engagieren. Er will diesen Helden des Alltags ein Gesicht geben – und Jugendliche einladen, sie als Vorbild zu nehmen

Sonntagmorgen, 7.30 Uhr. Bei Florian Kapsner klingelt der Wecker. Der 17-Jährige ist seit gut zwei Jahren neben seiner Ausbildung zum Elektriker ehrenamtlicher Mesner in seiner Heimatgemeinde und bereitet dort die Gottesdienste vor. Der Religionspädagoge Hans Mendl findet Kapsners Engagement so bemerkenswert, dass er ihn in seine ganz besondere Datenbank aufgenommen hat. Sie heißt „Local Heroes“ und soll Heldinnen und Helden des Alltags ein Gesicht geben. 

„ Sie sind der Kitt, der eine Gesellschaft zusammenhält.“

Rund 200 Menschen listet Mendl aktuell auf. Seit 1997 sammelt der heute 65-jährige Theologe, der an der Universität Passau lehrt, die Geschichten von Alltagshelden. Von A wie Asyl- oder Altenhilfe bis zu Z wie Zivilcourage. In seiner Datenbank sind Menschen verzeichnet, die ehrenamtlich in der Caritas-Suppenküche, bei der Tafel oder in der Flüchtlingsarbeit helfen – aber auch Lebensretter, die jemanden vor dem Ertrinken bewahrt haben. Mendl sagt: „Es geht um Menschen, die nicht bei sich stehen bleiben. Sie sind der Kitt, der eine Gesellschaft zusammenhält.“ 

Hans Mendl
Hans Mendl. Foto: Werner Haußmann

Kriterien, um in die Datenbank aufgenommen zu werden, sind laut Mendl „die klassischen Tugendlehren oder Werke der Barmherzigkeit“. Er listet also Menschen auf, die sich als Nothelfer, bei der Lebensrettung, in der Nächstenliebe, für den Umwelt- oder den Tierschutz sowie in der Mission eingesetzt haben – aber keine Menschen, „die nur ihren Beruf machen“.

Die Geschichten aus Mendls Datenbank, meist Artikel aus der Passauer Neuen Presse, können Lehrerinnen und Lehrer im Schulunterricht verwenden. Die Auseinandersetzung mit den Vorbildern soll anregen, das eigene Verhalten zu hinterfragen. Damit das funktioniert, war es Mendl wichtig, Menschen zu finden, „die greifbar sind, eben nicht weit weg und schon tot“ wie die Heiligen und Märtyrer der katholischen Kirche. Damit könnten Jugendliche oft nur wenig anfangen, sagt der Professor: „Das ist nicht deren Erlebniswelt.“ 

Dass sich Kinder ihre Vorbilder eher in der Umgebung suchen, beweisen neuere Studien. Mendl sagt, es seien meist nicht die bekannten und medial verklärten Stars aus dem Sport oder der Popkultur, an denen sie sich ausrichteten, „sondern eher die Eltern, Großeltern oder Menschen aus der Nachbarschaft, beispielsweise eine Bekannte, die sich eine Zeitlang in der Entwicklungshilfe oder in der Missionsarbeit engagiert“.

Auf die Idee für sein Projekt kam der Hochschullehrer, als zwei sehr unterschiedliche Frauen kurz nacheinander gestorben sind: Lady Di und Mutter Teresa. Mendl las von dem Vorschlag, man solle beide heiligsprechen. Seitdem sammelt er die Unterlagen von Menschen, die nicht so prominent sind – aber sich wie Alltagsheilige engagieren. Jeden Morgen, wenn er die Zeitung liest, achtet er darauf, ob so ein Mensch drinsteht. Er sagt, diese Routine habe seine Weltsicht verändert und ihm gezeigt, dass die Lage nicht so schlecht ist, wie man durch die Nachrichten denken könnte. So wie ihm soll es auch den Schülerinnen und Schülern gehen, die sich im Religions- oder Ethikunterricht mit den Alltagshelden befassen. 

„Die machen kein Tamtam“

Dass Mendl mit seinem Konzept nicht im luftleeren Raum agiert, zeigen Beispiele aus der katholischen Historie. Der Theologe Romano Guardini hat sich in seinem 1957 verfassten Buch „Heilige der Unscheinbarkeit“ mit unbekannten Alltagshelden befasst. Und Papst Franziskus regte dazu an, am 9. November jeden Jahres aller Alltagsheiligen zu gedenken. 

Der Passauer Theologe Mendl ist unter Religionslehrern inzwischen recht bekannt. Pädagogen aus Deutschland, der Schweiz und Österreich nutzen die „Local Heroes“ für den Unterricht. Und Mendl hat inzwischen mehrere Bücher über seine Leidenschaft verfasst. Etliche seiner Lokalhelden hat er mittlerweile selbst kennen- und schätzen gelernt. Aus den Gesprächen mit ihnen weiß er, „dass die sich selbst nicht besonders wichtig nehmen. Die machen kein Tamtam aus ihrem Engagement und würden sich auch nicht als Helden bezeichnen. Die machen einfach, was ihnen wichtig ist.“ Einigen sei es sogar unangenehm, in der Datenbank erfasst zu werden: „Die nehme ich dann natürlich rasch wieder raus.“

Andreas Kaiser