Päpstlicher „Förderverein“ für Katholische Soziallehre
Ein fast vergessener Schatz

Foto: Marco Heinen
Centesimus Annus in Hamburg. Von links: Ulrich Schürenkrämer, Alois Konstantin Fürst zu Löwenstein, Erzbischof Stefan Heße, Stephanie Prinzessin zu Löwenstein.
„Das hundertste Jahr“, lateinisch „Centesimus Annus“, so lautet der Titel einer Enzyklika, die Papst Johannes Paul II. 1991 geschrieben hat. Hundert Jahre alt wurde damals die Enzyklika „Rerum Novarum“. Dies war das erste gesamtkirchliche Lehrschreiben, in dem ein Papst – Leo XIII. – sich der sozialen Frage des Industriezeitalters gestellt hat. Er sprach von den Grundrechten der Arbeiter, befürwortete Gewerkschaften, verteidigte das Privateigentum gegen den Kommunismus, forderte gerechte Löhne und staatliche Sozialgesetze. Die Prinzipien, die Leo XIII. im Jahr 1891 aufstellte, sind bis heute Grundlage der katholischen Gesellschaftslehre.
Hundert Jahre später war der geschichtliche Hintergrund ein anderer. Gerade war das Sowjetsystem zusammengebrochen. Papst Johannes Paul II. ging auf diese Zeitenwende ein. Und er ergänzte die Themenliste der Soziallehre durch die Stichworte: Nachhaltigkeit, ökologische Verantwortung und globale Gerechtigkeit.
„Centesimus Annus“ ist heute 24 Jahre alt. Der Text wird heute nur selten zitiert, er hatte aber Folgen. Der Papst gründete in Folge der Enzyklika eine Stiftung, die die Verbreitung der katholischen Soziallehre fördern sollte. Die päpstliche „Fondazione Centesimus Annus Pro Pontifice“ wurde anfangs von katholischen Unternehmern aus Italien unterstützt. Sie hat heute nationale Sektionen in 17 Ländern, auch in Deutschland. Kürzlich traf sich diese Gruppe zum ersten Mal in Hamburg. Ihr Thema, die katholische Soziallehre, ist auch 124 Jahre nach „Rerum Novarum“ aktuell. Darauf wies Erzbischof Stefan Heße im Auftakt-Gottesdienst hin. „Die Prinzipen der Soziallehre Personalität, Gemeinwohl, Subsidiarität und Solidarität sind nicht spekulativ, sondern handgreiflich und bis heute nicht überholt“, sagte er und verwies auf die aktuelle Politik. Beispiel „Personalität“ und „Solidarität“: „Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit ist mit dem Christentum nicht zu machen“, so Erzbischof Heße. „Dass die einen mehr wert sind als die anderen, das können wir nicht mitmachen.“ Und in der Frage der Migration mahne die Soziallehre zu einem globalen Blick. „Migration ist ein Zeichen dieser Zeit. Sie wird zunehmen und nicht abnehmen. Dass so viele Menschen sich auf den Weg machen, führt aber zu der Frage: Was steckt dahinter?“
Stichwort Menschenwürde: Der Hamburgbesuch führte die Stiftungsmitglieder nicht etwa zu den Schaustücken der hanseatischen Wirtschaft, Politik oder Kultur – sondern in die neu errichtete Bahnhofsmission. Deren Leiter Axel Mangat erklärte, wozu diese Mission gut ist. 500 000 Reisende täglich gehen im Hauptbahnhof und aus. „Für viele ist der Hauptbahnhof der erste Ort, an dem sie in Hamburg ankommen. Für andere ist es der letzte.“ Denn die Bahnhofsmission sei für viele Obdachlose und Gestrandete die „letzte Adresse“, wenn kein anderer medizinischer oder sozialer Dienst sich zuständig sieht. Neuerdings gibt es dort sogar eine ambulante, immer offene Pflegestation für Obdachlose, betrieben von Johannitern und Maltesern.
Talente fördern, Gemeinwohl stärken
Nicht für die Nothilfe kann die katholische Soziallehre heute Orientierung geben. Davon ist der deutsche Koordinator der päpstlichen Stiftung, Ulrich Schürenkrämer, überzeugt. „Bei den aktuellen großen Herausforderungen und der tektonische Verschiebung der wirtschaftlichen, politischen und militärischen Machtachsen steht fest: Ein ,weiter so’ kann es nicht geben“, sagt er. Schürenkrämer sieht aber auch Zeichen, dass christliche Gedanken wieder Gehör finden. „Mit den Eindrücken der Inauguration des amerikanischen Präsidenten, die der Religion im öffentlichen Raum Platz gelassen hat, verbinde ich die Hoffnung, dass wir uns auf unsere christlichen Wurzeln besinnen“, sagt er. „Die Katholische Soziallehre ist mit ihren Prinzipien und Werten ein großartiger Schatz. Wenn wir in unserer Gesellschaft das Subsidiaritätsprinzip wieder stärken, die individuelle Freiheit und die Entwicklung der Talente fördern und dabei die Verantwortung für das Gemeinwohl leben, ist schon viel gewonnen.“