Audiowalk auf dem Friedhof in Bargteheide

Ein Himmel mit bunten Pferden

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Kinder auf einem Friedhof
Nachweis

Foto: Timon Kronenberg

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Kindertheatermacher Kai Fischer mit Grundschülern auf dem Friedhof in Bargteheide

Der Künstler Kai Fischer hat ein einzigartiges Projekt realisiert: In einem Audiowalk tauschen sich Kinder und Senioren offen über das Leben und den Tod aus. Die Inhalte sind auf dem Friedhof in Bargteheide abrufbar und laden zum Hören und Nachdenken ein.

Wie ist es, wenn man so alt ist? Auf die Frage einer Grundschülerin antwortet eine Seniorin: „Du strampelst dich ab, machst Gymnastik, und trotzdem tut der Rücken weh.“ Eine andere Frau sieht das Alter eher positiv: „Vieles ist unkomplizierter, ich habe mehr Selbstbewusstsein als in meiner Jugendzeit.“

Zweitklässler der Emil-Nolde-Schule in Bargteheide bei Hamburg sowie Seniorinnen und Senioren tauschen sich in einem Hörspiel über Tod und Trost, Trauer und Leben aus. Etwa 25 Minuten lang. Idealerweise lauscht man den Worten bei einem Spaziergang über den Friedhof. Mit Kopfhörern im Ohr. Oder man setzt sich auf eine Bank, drückt auf den Pausenknopf und überlegt: Wie stelle ich mir selbst den Himmel vor? Habe ich Angst vor dem Tod?

Etwa 150 Besucher haben den intergenerativen Audiowalk mit zehn Fragen über das Leben und den Tod bisher über QR-Codes auf dem Friedhof in Bargteheide abgerufen. Kai Fischer, Kinder- und Jugendtheaterregisseur aus Hamburg, freut sich, dass sein neuestes Projekt auf Interesse stößt. Er hat schon so manches Tabu-Thema auf die Bühne gebracht: Pornografie, „das Böse“ oder Suizid im Alter. Letzteres wurde sogar in Kirchen aufgeführt. Gefälligkeitskunst ist nichts für ihn.

Kinder haben eine automatische Schutzfunktion.

Jetzt hat er in einer anderen Kunstform den Tod an der Schnittstelle von Kinder- und Erwachsenenwelten aufgegriffen. Weil Kinder „ein absolut legitimes Interesse“ daran haben. Sie sind sich der eigenen Sterblichkeit noch nicht bewusst, sorgen sich aber um den Verlust von Familienmitgliedern. Ihre Ängste zu teilen – das funktioniere am besten mit Menschen, die sich „am Ende der Lebenszeit-Skala befinden“, sagt Fischer. Die Alten haben vielleicht schon über den Tod nachgedacht, die Jungen haben viel Fantasie und sind sehr offen. „Es war mir wichtig, dass beide Seiten ihre Gedanken loswerden und voneinander profitieren.“

Einfach umzusetzen war es nicht. Auf der Suche nach älteren Gesprächspartnern musste er Klinken putzen. Er fand zwar eine Grundschulklasse, deren Lehrerin einen Hospizkurs besucht hatte und begeistert war von Fischers Idee. Aber es gab Eltern, die kalte Füße bekamen, weil sie ihr Kind schonen wollten – obwohl der erfahrene Künstler behutsam vorging und sich sogar Rat in einem Hospiz holte. Dort hieß es: Es gibt kein zu jung oder zu alt, um sich mit dem Tod auseinanderzusetzen. „Kinder haben eine automatische Schutzfunktion“, erklärt Fischer. Sie fragen so lange, bis sie selbst meinen, dass es genug ist. „Und da setze ich dann auch nicht noch einen drauf.“

Kinder mit Kopfhörern
Behutsam wurden die Kinder an das Thema Sterben herangeführt. Foto: Timon Kronenberg

Kai Fischer näherte sich dem Audiowalk-Thema in einem theaterpädagogischen Workshop. Abstrakt, mit Gegenständen, die er auf den Tisch legte: eine Schachfigur, eine Engelsfigur, eine Taschenlampe. Jedes Kind konnte sich einen Gegenstand aussuchen und sagen, was ihm dazu einfällt. Zum Beispiel: „Ich denke, dass es gut ist, nach dem Tod eine Taschenlampe dabeizuhaben, weil ich dann Licht habe.“ Die Kinder beerdigten auch gemeinsam einen Schmetterling und überlegten: Was brauchen wir? Eine Kiste, einen Grabstein, ein Lied zum Abschied. Die spielerische Herangehensweise sorgte später für einen angstfreien Austausch mit den Senioren.

Eine Frage lautete: Was möchtest du in den Himmel mitnehmen? Die Kinder wählten bunte Pferde, die Senioren Fotoalben. Oder: Hast du schon mal etwas Wichtiges verloren? „Eine Giraffe, die Mama selber genäht hat“, antwortet ein Mädchen. Und eine Seniorin sagt: „Ich habe die Liebe meiner Mutter verloren, weil wir geflüchtet sind, sie sich hat scheiden lassen und ich beim Vater geblieben bin.“ Ein Gänsehautmoment.

Der Tod passiert mitten unter uns. Auch Kinder werden damit konfrontiert. In der Familie, weil Oma oder Opa gestorben sind. In den Medien, weil Menschen in Kriegen oder bei Umweltkatastrophen ums Leben kommen. „Sterben wird heute oft ausgelagert in die Senioren- und Pflegeheime oder ins Krankenhaus“, sagt Kai Fischer. „Es gibt kaum noch einen Anlass, wirklich über den Tod zu reden – außer vielleicht bei einem Haustier.“ Das Audiowalk-Projekt soll verschiedene Sichtweisen auf das Sterben ermöglichen und Ängste abbauen, indem der Friedhof als Ort des Nachdenkens und der Begegnung neu belebt wird.

Die Kinder haben sehr gut wahrgenommen, dass sie nicht geschont, nicht belogen wurden.

Was möchtest du noch erleben? „Ich möchte Surfweltmeisterin werden“, antwortet ein Mädchen. Ein anderes Kind möchte Tiere retten. Und ein Junge will den Weltrekord brechen im Sammeln von Pokemon-Karten. Eine alte Dame hingegen sagt, sie müsse dringend ihren Nachlass regeln. Und eine andere Frau reagiert gelassen: „Mit 70 hat man ja alles erlebt. Was jetzt noch kommt, ist Bonus.“

Solche Fragen rütteln wach, betont Fischer. So mancher alte Mensch fragte sich während der Interviews: Bin ich wirklich schon fertig oder habe ich noch Träume? Und die Grundschüler bekamen ehrliche Antworten. Ohne dass es traurig wurde. „Die Kinder haben sehr gut wahrgenommen, dass sie nicht geschont, nicht belogen wurden.“ Sie haben viel gelernt über Freundschaft, das Leben, was man erreichen will. Dass es vielleicht nicht so wichtig ist, Fußballweltmeister zu werden, aber in einem Spiel das entscheidende Tor zu schießen.

Fischer selbst fand es schön zu beobachten, dass sich die Vorstellung vom Leben nach dem Tod bei Jung und Alt ähnelt. Kinder haben oft ein klares, medial geprägtes Himmelsbild, während Senioren dies meist ablehnten, aber dennoch auf eine unsterbliche Seele und ein Weiterleben nach dem Tod hoffen. „Von den Kindern haben sie gelernt: Man kann daran glauben, dass der Tod nicht das Ende bedeutet.“

Anja Sabel

Der intergenerative Audiowalk ist per QR-Code auf dem Friedhof in Bargteheide bei Hamburg abrufbar. Aber es gibt ihn auch hier zum Reinhören. Und hier erzählen wir, wie alte Friedhöfe in Osnabrück als Kulturorte genutzt werden können.