Ein Glaubenskurs für Konvertiten aus dem Islam

Ein Muslim wird Christ

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Mann vor Containerschiff
Nachweis

Foto: Matthias Schatz

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Mahmoud Moustafa während der Bootsfahrt im Hafen Hamburgs. Sie wurde veranstaltet vom „Café Mach Mit“, einem allmonatlichen Treffen in der Gemeinde St. Bernard, über das er überhaupt erst Einblick in das Christentum bekam.

Mahmoud Moustafa ist einer von vier Muslimen, die an Pfingsten in der Hamburger Pfarrei Seliger Johannes Prassek getauft werden. Erst durch deren Willkommenskultur konnte er Christen und die katholische Konfession wirklich kennenlernen.

Anette Bethge mischt sich unter die Völker. Denn es sind Geflüchtete aus mehreren Nationen sowie Deutsche aus der Gemeinde St. Bernard im Hamburger Stadtteil Poppenbüttel, die sich an diesem Sonntag auf der geräumigen Barkasse zu einer Rundfahrt durch den Hamburger Hafen versammelt haben. Viele der rund hundert Menschen kommen aus Syrien, dem Irak, dem Iran, Afghanistan und der Ukraine. Sie kommen einmal im Monat zu diesem „Café Mach Mit“ zusammen, üblicherweise in den Räumen der Gemeinde. Ausnahmsweise findet diese gesellschaftliche Integration in einem internationalen und auch interreligiösen Kontext dank einer Zuwendung aus dem Flüchtlingsfonds der Caritas diesmal auf dem Wasser statt. 

Bethge, hauptberuflich Ehrenamtskoordinatorin für den Integrationsdienst bei den Maltesern in Hamburg, hat das „Café Mach Mit“ 2015 gegründet und engagiert sich dort selbst ehrenamtlich. „Wir nehmen die Menschen hier so, wie sie sind", sagt sie. Bethge fragt die Gäste, wie es ihnen geht, unterhält sich mit ihnen über Sitten und Gebräuche in ihren Herkunftsländern und hierzulande. Oft auf Deutsch, das viele von ihnen beherrschen und daher auch als Übersetzer fungieren. So etwa Mahmoud Moustafa, ein 29-jähriger Kurde aus Afrin, einem Ort nahe Aleppo im Nordwesten Syriens.

So ähnlich ging es zu, als er ein gutes Jahr nach seiner Flucht vor dem Krieg im Dezember 2016 an einer Weihnachtsfeier teilnahm, die Bethge in einem Flüchtlingsheim veranstaltete. „Ich spiele Tambur, ein Saiteninstrument, und habe dann einfach mitmusiziert“, berichtet der Kurde, der als Flüchtling anerkannt ist. Anette Bethge sei seitdem zu seiner „zweiten Mutter“ geworden, sagt er. Mahmoud Moustafa singt bereits im Chor der Gemeinde mit, die ihm zudem einen Übungsraum für eine Tanzgruppe geflüchteter Kurden zur Verfügung stellt. 

Und er ist ständiger Gast im „Café Mach Mit“, nimmt auch dafür die mehr als einstündige Fahrt vom Stadtteil Billstedt am anderen Ende Hamburgs auf sich, wo er als Paketbote arbeitet. „Ich fühlte mich hier zunächst verloren, war alleine. Ich suchte aber Kontakte nicht in einer Moschee, sondern hier in der christlichen Gemeinde.“ Beim „Café Mach Mit“ und der Gemeinde habe er „ein gutes Gefühl bekommen, dass Gott bei mir ist.“ An den Gottesdiensten nahm der Sunnit auch teil, bei der Kommunion empfing er statt der Hostie einen Segen. Und nach den Hochämtern am Sonntag gesellte er sich zum Kirchencafé, wo er auch mit Gemeindemitgliedern ins Gespräch kam.

Erst war er Dolmetscher, dann Teilnehmer im Glaubenskurs

An Pfingsten wird Mahmoud Moustafa dann reguläres Mitglied der Gemeinde. Denn dann wird er zusammen mit drei anderen geflüchteten Muslimen, die die Gemeinde ebenfalls über das „Café Mach Mit“ näher kennengelernt haben, getauft, und zwar in der Kirche Heilig Kreuz im Stadtteil Volksdorf, die ebenfalls zur Pfarrei Seliger Johannes Prassek im Nordosten Hamburgs zählt. Sie haben alle einen gut halbjährigen Glaubenskurs besucht, der sie an die katholische Konfession heranführte und der mit Geldern aus dem Innovationsfonds des Erzbistums gefördert wurde.

„Das Thema Taufe von Muslimen ist seit der Flüchtlingswelle 2015 auch ein Thema im Erzbistum“, sagt Pater Christian Modemann. Die Zahl der Anfragen sei zwar nicht hoch, aber es kämen immer wieder welche, erklärt der Jesuit, der seit 2019 die Katholische Glaubensinformation in Hamburg leitet. „Ich freue mich sehr über das Engagement in Poppenbüttel – und hoffe, dass sich das Erzbistum noch mehr auf diesem Feld unternimmt“, sagt Modemann. Zuverlässige Zahlen über Konvertiten aus dem Islam zu einer christlichen Konfession zu ermitteln ist laut Pater Christian Modemann schwierig. Das liege unter anderem daran, dass Muslime in den Statistiken zur Taufe nicht eigens erfasst werden.  Weitere Konvertiten komme aus anderen Kirchen und treten als Getaufte zur katholischen Kirche über.  Modemann schätzt, dass unter allen Konvertiten zum Katholismus wie in Frankreich etwa fünf Prozent frühere Muslime sind.
Mahmoud Moustafa, der neben Deutsch auch das dem Kurdischen verwandte Farsi spricht, sollte zunächst nur als Dolmetscher bei dem Glaubenskurs fungieren, der im vergangenen Oktober begann. Er wurde ebenfalls ehrenamtlich von Anette Bethge sowie der Gemeindereferentin a. D. Ludmilla Leittersdorf-Wrobel und Klaus-Jürgen Heer geleitet, der seine Erfahrungen als Katholik im muslimisch geprägten Malaysia einbrachte, wo er mehr als 20 Jahre als Ingenieur arbeitete. Partiell betreut wurde der Kurs zudem von dem Pallottinerpater Christoph Hammer, Pastor der Pfarrei, und der Gemeindereferentin Julia Weldemann. Die beiden bieten auch Glaubenskurse für Menschen an, die bislang einer anderen christlichen Konfession angehören oder Atheisten sind. 
Christoph Hammer hebt Bethges „offene Art“ hervor, durch die auch das „Café Mach Mit“ zu einem Ort geworden sei, „wo man hingehen kann, ohne abgestempelt zu werden und man Leute kennenlernen kann.“ Pater Modemann verweist in diesem Zusammenhang auf das Papier „Christus in Liebe verkündigen" der Bischofskonferenz von 2009. „Das macht deutlich, dass es nicht um Mission geht, sondern um eine Willkommenskultur für diejenigen, die nach der Taufe fragen. Das ist ein wichtiger Aspekt, weil es sonst im interreligiösen Dialog leicht zu Verstimmungen kommt.“

Je mehr Mahmoud Moustafa als Dolmetscher über die katholische Konfession erfuhr, desto mehr war er angetan davon und nahm schließlich richtig an dem Glaubenskurs teil. Insbesondere von den Evangelien und den weiteren Schriften des Neuen Testaments, die hauptsächlich Thema gewesen seien, sei er „positiv überrascht" gewesen. „Vorher kannte ich das Neue Testament gar nicht", sagt er. Kein Einzelfall bei Muslimen. „Der Islam verbietet es, Christ zu werden. Wer konvertiert, darf getötet werden", berichtet er. Gleichwohl begegnete er bereits in Aleppo Christen. Sie hätten nichts über Religion erzählt, weil sie Angst gehabt hätten, sonst Probleme zu bekommen, erinnert er sich. Aus dieser Angst heraus hätten sie es auch nicht gern gesehen, wenn Muslime ihre Kirche besuchten. „Besonders war, dass sie den Menschen, gleich welcher Religion, immer geholfen haben, ohne eine Gegenleistung zu erwarten", berichtet er weiter. „So bin ich auch.“ Dieses Miteinander finde er auch hier in der Gemeinde.

Zeitgemäße Bibelauslegung wird als Bereicherung erfahren

„In der katholischen Kirche wird die Liebe Gottes betont, das hat mich verändert“, sagt Moustafa weiter. Im Glaubenskurs seien nur Menschen gewesen, die einen liebenden Gott suchten, erinnert sich Klaus-Jürgen Heer. „Wir merkten, dass da ein Feuer in ihnen brennt und ein Interesse da ist, mehr zu erfahren“, sagt der 67-Jährige weiter. Auch das ist eine typische Erfahrung, die Konvertiten aus dem Islam machen.

In und vor den Moscheen in Syrien habe er viele ältere Menschen weinen gesehen, berichtet Mahmoud Moustafa weiter. „Als Kind habe ich gedacht: Die haben Angst vorm Sterben, also auch Angst vor Gott. Da stimmt etwas nicht.“ Er habe aber nichts gegen den Islam, betont er, wohl aber gegen das repressive Verhalten, dass er bei Muslimen erlebt habe. „Die halten sich nicht an das, was der Imam sagt.“

„Gott ist bei uns nicht nur der Strafende, sondern auch der Liebende und deshalb gehen die Menschen aus dem Gottesdienst in der Regel auch frohen Mutes hinaus“, sagt Pater Hammer an. „Vor allem das Menschenbild des Neuen Testaments ist für viele Muslime anziehend.“ Und Pater Modemann erläutert: „Die christliche Religion ist grundsätzlich gewaltlos und das bedeutet auch eine andere Art des Umgangs miteinander. Ob wir dem immer genügen, ist etwas anderes.“

Schwierig sei es, Muslimen zu vermitteln, dass die Bibel eine andere Entstehungsgeschichte habe als der Koran, hat Pater Hammer erfahren. In der Bibel müsse man Passagen im Kontext verstehen. Ein entscheidender Unterschied zu islamischen Konfessionen sei auch, dass sich nach christlicher Auffassung Gott in der Zeit und in der Geschichte offenbare und nicht nur in einem Gesetz, betont Christian Modemann. „Die Teilnehmer unseres Glaubenskurses sagten, es sei bereichernd, dass wir die Bibel nicht wortwörtlich auffassten, sondern ihre Texte in die heutige Zeit übertrügen“, berichtet Ludmilla Leittersdorf-Wrobel. So habe man etwa anlässlich der Kreuzigung Jesu darüber gesprochen, was Vergebung heute bedeutet, sagt die 67-Jährige.

Was viele überraschen mag: Mahmoud Moustafa war zuvor gar nicht religiös. „Mein Vater war auch nicht religiös, aber mein Onkel hat mich dann in die Moschee mitgenommen.“ Pater Modemann überrascht das weniger. „Die Haltung der Gesellschaft zur Religion ist in muslimisch geprägten Ländern sicherlich anders. Ob die persönliche Religiosität, also die Praxis der Religion tatsächlich größer ist oder ob das nur ein sozialer Kitt ist, kann ich nicht beurteilen. Einige sagten mir: ‚Ich bin Muslim, weil meine Eltern Muslime waren, aber ich habe das nicht besonders praktiziert.‘“ Dass es sich bei der Konfessionszugehörigkeit um eine persönliche Entscheidung handele, werde in westlichen Ländern und auch im Christentum nochmals deutlich.

Mahmoud Moustafa zog die katholische Kirche auch wegen ihres Ritus‘ an. „Ein Priester muss auch ein Gewand tragen“, fügt er hinzu. „Die Liturgie ist für einen großen Teil der Menschen der erste und einer der wichtigsten Berührungspunkte, der sie überlegen lässt, ob sie katholisch werden“, weiß Christian Modemann. Das gelte für alle Konvertiten. „Wir sind als Menschen eben nicht nur Kopf, wir sind auch Herz und Leib.“ Der Ritus helfe dabei, Gott auf sich zukommen zu lassen. „Das erleben Menschen auch dann, wenn sie noch nicht alles über die Konfession erfahren haben.“ Man glaube ja auch mit dem Herzen, meint Klaus-Jürgen Heer und es brauche Wissen und Zeit, ehe auch Zweifel überkommen würden. „Daher werden wir die Konvertiten nach der Taufe weiter begleiten. Denn sie haben sich erst auf den Weg gemacht.“

Gerade nach der Flüchtlingswelle 2015 mehrten sich Medienberichte über Aggressionen und auch körperliche Gewalt gegen Menschen, die aus dem Islam zum Christentum konvertierten. Auch die drei Leiter des Glaubenskurses haben davon erfahren. Insbesondere alleinstehende Männer, die in einer Flüchtlingsunterkunft ein Zimmer mit Muslimen haben teilen müssen, seien davon betroffen gewesen. Pater Modemann weiß zudem von Taufen und Vorbereitungstreffen, die nicht öffentlich stattfanden, um die Menschen zu schützen. Ludmilla Leittersdorf-Wrobel hat die Kursteilnehmer auch darauf angesprochen: „Sie sagten, das sei ihnen schon bewusst, aber es mache ihnen überhaupt nichts aus.“ Und Anette Bethge ergänzt: „Viele Konvertiten aus dem Islam sind sogar stolz darauf, getauft zu werden und posten das in sozialen Netzwerken.“

 

Ein Interview mit dem katholischen Islamexperten Klaus von Stosch lesen Sie hier: www.aussicht.online/artikel/der-islam-sollte-nicht-daemonisiert-werden
 

Matthias Schatz