Wie kann die Caritas den christlichen Geist lebendig halten?

Einander seine Schätze zeigen

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Wie kann die Caritas den christlichen Geist lebendig halten, wenn nur noch wenige Mitarbeiter Christen sind? Diese Frage bewegt Cäcilia Montag. Sie entwickelt spirituelle Angebote, die zu den veränderten Bedürfnissen passen.


„Wo der Geist Gottes wirkt, da ist Freiheit“ – dieses Bibelzitat von der Wand der Berliner Caritas-Kapelle versteht Cäcilia Montag als Leitwort ihrer Arbeit.
Foto: Dorothee Wanzek

 

„Die meisten Kolleginnen und Kollegen haben sich bewusst für die Caritas als Arbeitgeberin entschieden, auch diejenigen, die nicht katholisch sind“, sagt Cäcilia Montag. „Viele teilen unsere Werte und erwarten, dass die Kirche anders mit Menschen umgeht, als sie es bei vorherigen Dienstgebern vielleicht erlebt haben“, nimmt sie wahr. Neue Kollegen bringen ihre Hoffnung zum Ausdruck, dass Klienten und Mitarbeiter in den Einrichtungen und Diensten der Caritas nicht nur als Nummer, sondern als Mensch gesehen werden, dass sie mit ihren Sehnsüchten, ihren Begabungen,  Begrenzungen und Verletzungen angenommen werden.
Seit vier Jahren leitet Cäcilia Montag beim Caritasverband für das Erzbistum Berlin die neu geschaffene Stabsstelle Seelsorge, Spiritualität und Ethik. Sie schneidet das Seelsorge-Angebot nicht vorrangig auf die katholischen Kollegen zu, wie es bei der Caritas lange üblich war, bevor die Stabsstelle geschaffen wurde. Über die Feier der heiligen Messe, klassische Exerzitien und Einzelgespräche hinaus hat sich die Bandbreite spiritueller Formate erweitert.
„Selbstfürsorge – Zeit für mich“ sind beispielsweise Oasentage überschrieben, zu denen sich Caritas-Mitarbeiter im Frühsommer anmelden können. „Was hat mich geprägt? Wem eifere ich nach? Welches Bild zeichne ich von mir? Inwiefern prägen mich Gottesbilder?“, heißen die Leitfragen in einer Exerzitien-Einladung für die zweite Jahreshälfte.
„Jeder Mensch hat eine Spiritualität“, ist Cäcilia Montag überzeugt, „der eine umarmt Bäume, die andere geht in die Kirche, wieder ein anderer singt sich in Trance. Alle suchen Antworten auf die Fragen des Lebens: Wo komme ich her, wohin gehe ich, warum bin ich hier, wo sind die Seelen nach dem Tod, oder auch ganz lebenspraktisch: wo kann ich auftanken…?“
Mit Gesprächs- und Besinnungsangeboten möchte sie in der bunt zusammengesetzten Mitarbeiterschaft das Interesse an der eigenen Spiritualität wecken und dazu anregen, bisher unbekannten Formen gelebter Spiritualität kennenzulernen. „Wir holen unsere Mitmenschen da ab, wo sie sind“ sagen hauptamtliche Christen in diesem Zusammenhang häufig. Cäcilia Montag findet diesen Satz schwierig. „Wir können als Christen nicht so tun, als wüssten wir, was für die anderen gut ist. Wir haben allen Grund, uns von ihrer Spiritualität beschenken zu lassen“, findet sie.
„Dabei sollten wir natürlich auch nicht mit den Perlen hinter dem Berg halten, die wir als Christen zu bieten haben“, betont sie. Die Eucharistiefeier ist für sie eine solche Perle. Wenn sie eingebettet ist in eine Veranstaltung, bei der Caritas-Mitarbeiter ins Gespräch kommen über Gott und die Welt, könnten auch kirchenferne Teilnehmer sie als Schatz wahrnehmen.

Vielfalt von Erfahrungen ist für alle befruchtend
Es freut Cäcilia Montag, wenn eine ungetaufte Kollegin am Ende gemeinsamer Oasentage sagt, sie könne nicht mehr ausschließen, dass es eine lebendige Beziehung zwischen Gott und Menschen geben kann. Ebenso freut es sie, wenn ein katholischer Kollege seinen Glauben von den kirchenfremden Gesprächspartnern hinterfragen lässt und deren Nachfragen ihn dazu bringen, neu über religiöse Überzeugungen nachzudenken und seinen Glauben dabei zu vertiefen.  „Der Austausch ist gerade wegen der Vielfalt von Erfahrungen befruchtend für alle“, meint Cäcilia Montag. Spannend fände sie es, diese Vielfalt noch um die Erfahrungen kirchlicher Mitarbeiter in Gemeinden und Bistumsverwaltung zu erweitern.
Sie selbst fühlt sich oft inspiriert durch Fragen ihrer Kollegen. „Wo gibt es Suchtprävention in der Bibel?“, wollte zum Beispiel eine Caritas-Mitarbeiterin wissen, die in diesem Bereich arbeitet. Dass der Begriff weder im Alten noch im Neuen Testament vorkommt, war der Seelsorgerin sofort klar. Dass aber letztlich alles, was Menschen gut tut, so wie Jesus es vorlebt, sie gegen Süchte stärkt, ist ihr erst nach einigem Nachdenken bewusst geworden. „In diesem Sinne kann man die ganze Bibel als Suchtprävention verstehen“, denkt sie.
Immer wieder lassen sich Caritas-Mitarbeiter, die nie zuvor mit der Bibel zu tun hatten, von biblischen Geschichten ansprechen. Sie bringen zum Ausdruck, dass diese Geschichten etwas mit ihrem Leben zu tun haben. „Jesus war für alle Menschen da. Wir müssen das, was er erzählt hat, also in einer Weise präsentieren, die bei den Zuhörern heute ankommt und sie berührt“, sagt Cäcilia Montag. Als Mutter und als Religionslehrerin am katholischen Berufsschulzentrum Edith Stein hat sie das bereits geübt,  bevor sie zur Caritas kam.
Als Berufsschullehrerin hat sie zudem gelernt, genau hinzuhören und auch auf Ungesagtes zu achten, das zwischen den Sätzen mitschwingt. Das kommt ihr zugute, wenn sie Veranstaltungsprogramme entwickelt für Caritas-Mitarbeiter, denen ihre spirituellen Bedürfnisse manchmal selbst noch gar nicht bewusst sind. Das erste Jahresprogramm, das sie entwickelt hat, blieb in der Schublade, weil es zu Beginn der Corona-Pandemie keine Begegnungen geben durfte. Immer wieder probiert sie auch Neues aus. Bewährt haben sich beispielsweise mehrtägige Besinnungstage ohne Übernachtung, die jungen Eltern und Führungskräften die Teilnahme erleichtern. Auch die dreitägigen Pilgertouren auf dem Brandenburger Jakobsweg werden gut angenommen.
Bedauerlich findet Cäcilia Montag, dass es besonders für Pflegekräfte, die stärkende Oasten in ihrem herausfordernden Arbeitsalltag besonders nötig hätten, zurzeit schwierig ist, sich verbindlich auf die Teilnahme an solchen Veranstaltungen festzulegen.

Montägliche E-Mail von Frau Montag
Im November wird sie erstmals gemeinsam mit dem Musiker Christoph Kießig eine besinnliche Auszeit unter dem Motto „Klangvoll“ anbieten. Die Teilnehmer singen und musizieren gemeinsam und spüren nebenbei dem Wohlklang und den Misstönen des eigenen Lebens nach.
Von den Mitarbeitern geschätzt ist nicht zuletzt der montägliche Impuls von Cäcilia Montag, den sie in der Coronazeit eingeführt hat und per E-Mail verschickt. Oft bringt sie dabei auch etwas von ihrer persönlichen Lebenserfahrung ein. „Wenn ich andere motivieren möchte, etwas von ihrer Spiritualität mitzuteilen, muss ich selbst beginnen und etwas von mir preisgeben“, meint sie. Dass die kurzen Montags-Gedanken gut ankommen, merkt sie unter anderem daran, dass der eine oder andere Impuls die Wände von Mitarbeiterbüros ziert. Eine Kollegin, die kürzlich in Ruhestand ging, bat darum, weiter beliefert zu werden, an ihre private Mailadresse.

Von Dorothee Wanzek