Gottesdienste für Menschen mit Demenz

„Eine Art Schutzraum“

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Seit circa 15 Jahren gibt es im Bistum Mainz Gottesdienste für Menschen mit Demenz. Gudrun Drehsen-Sohn und Doris Lehr berichten von den Anfängen dieser Projekte. „Ehrenamtliche“, so Doris Lehr, „waren von Beginn an mit dabei.“ Von Anja Weiffen



Im Caritas-Altenzentrum in Drais finden regelmäßig ökumenische Gottesdienste für Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen statt.


Kürzer als andere Gottesdienste dauern Gottesdienste für Menschen mit Demenz. Doch sie erreichen ihre Seele, ist Gudrun Drehsen-Sohn überzeugt. In ihrer Zeit im Caritas-Altenzentrum Maria Königin in Mainz-Drais hat die Sozialarbeiterin unter anderem Projekte für Menschen mit Demenz maßgeblich mit aufgebaut. „Es hat mir Freude gemacht, etwas Neues auszuprobieren“, erläutert die ehemalige Caritas-Mitarbeiterin, die heute im Ruhestand ist, ihre Motivation.

Den Segen ganz in sich aufgenommen

„Gottesdienste für Menschen mit Demenz unterscheiden sich vom liturgischen Ablauf her nicht so sehr von anderen Gottesdiensten“, erläutert Gudrun Drehsen-Sohn. „Aber sie sind persönlicher gestaltet, zum Beispiel stehen Stühle und Rollstühle im Kreis statt als Frontalbestuhlung, damit der Pfarrer jedem ins Gesicht sehen kann.“ Sie erzählt ein Beispiel: Einmal ging es thematisch um die Schutzmantelmadonna, erinnert sie sich. „Zu Anfang begrüßte der Pfarrer jede Teilnehmerin und jeden Teilnehmer. Am Ende der Feier legte er jeder und jedem eine kleine blaue Stola um und spendete den persönlichen Segen.“ Es sei sehr emotional gewesen, viele hätten geweint. „Den Segen nahmen die Menschen ganz in sich auf“, ist sich die Sozialarbeiterin sicher. Auch die alten Kirchenlieder, die die Mitfeiernden von früher kennen, so ihr Eindruck, „dringen bis an ihr Herz“.
Kurze Zeit bevor Gudrun Drehsen-Sohn 2008 das Projekt der Demenz-Gottesdienste im Altenzentrum in Drais übernahm, stieg Doris Lehr als ehrenamtlich Engagierte mit ein. „18 Jahre lang hatte ich einen Singkreis für Menschen mit Demenz angeboten und klinkte mich 2007 in die Demenz-Gottesdienste ein“, berichtet die Frau aus Drais. Sie arbeitete früher als Kinderkrankenschwester. Im Jahr 2000 starb ihre Mutter mit 90 Jahren.  „Sie war körperlich eingeschränkt, aber nicht an Demenz erkrankt“, sagt Doris Lehr. Ausgehend von dieser Erfahrung habe sie entschieden, sich im Ruhestand „für Menschen am anderen Ende des Lebens zu engagieren“.
Die beiden Frauen erzählen, wie demenzielle Erkrankungen vor rund 15 Jahren bei der Caritas in Rheinland-Pfalz zunehmend Thema wurden. Das Projekt „Gottesdienste für Menschen mit Demenz“ im Altenzentrum Maria Königin in Drais war damals der Auftakt für weitere Veranstaltungen. Der damalige Leiter von Maria Königin, Uwe Vilz, bat Gudrun Drehsen-Sohn, das ökumenische Projekt, das auf zwei Jahre angelegt war, zu übernehmen.

„Gut, dass wir intensiv vorbereitet wurden“

„Die Trägergesellschaft Caritas Altenhilfe St. Martin Rheinhessen führte die Gottesdienste auch im Albertus-Stift in Gau-Algesheim sowie in den Einrichtungen in Bodenheim und Mombach ein“, berichtet Gudrun Drehsen-Sohn. Die Malteser zogen mit einem ambulanten Modell für die Mainzer Innenstadt nach. Das Konzept für dieses Gottesdienst-Angebot entstand aus Erfahrungen von Angehörigen, erläutert Drehsen-Sohn. „Ehrenamtliche waren bei diesem Projekt gleich am Anfang mit dabei“, sagt Doris Lehr. „Und es war sehr gut, dass wir als Ehrenamtliche intensiv darauf vorbereitet wurden. Mediziner haben uns zum Beispiel mit dem Krankheitsbild Demenz vertraut gemacht, zudem wurden weitere Fachleute für Fortbildungen angefragt. Der damalige Heimleiter Uwe Vilz kümmerte sich um rechtliche Fragen.“
„Das Gottesdienst-Angebot begann vor Corona-Zeiten immer mit einem Kaffeetrinken“, erzählt Gudrun Drehsen-Sohn. Zu Anfang sei es vor allem darum gegangen, die Angehörigen zu entlasten, die so auch einmal Zeit für sich haben konnten. „Doch viele Angehörige wollten die Gottesdienste mitfeiern“, berichtet die Sozialarbeiterin. „Sie sagten, dass sie sich sonst oft schämten, mit ihren an Demenz erkrankten Verwandten in einen Gottesdienst zu gehen.“ So wurden diese Gottesdienste auch zu einer Art Schutzraum. „Die Angehörigen freuten sich darüber, dass die ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer den dementen Vater oder die demente Mutter respektierten, Geduld übten, und sich niemand über irgendetwas aufregte“, weiß Drehsen-Sohn zu berichten. Inzwischen sei das Thema Demenz mehr und mehr in der Öffentlichkeit angekommen. Die besonderen Gottesdienste bestehen fort, auch wenn sie durch die Corona-Pandemie eingeschränkt wurden.

Herausforderung Kirchenstrukturen
Herausforderungen sehen Lehr und Drehsen-Sohn allerdings mit Blick auf die zunehmende Zahl an Menschen, die an Demenz leiden und noch erkranken werden. Sie weisen darauf hin, dass „diese Generation, die jetzt alt wird, ja noch kirchentreu war“. Angesichts wegbrechender kirchlicher Strukturen stelle sich die Frage: „Woher bekommen diese Menschen ihre spirituelle Nahrung, die jeder braucht?“

Von Anja Weiffen

 

NACHGEFRAGT

„Viel Potenzial“
Fragen an Erika Ochs, Fachreferentin für Seelsorge 60+ beim katholischen Dekanat Darmstadt.

Welche Perspektive haben Gottesdienste für Menschen mit Demenz, wenn die Zahl kirchlicher Mitarbeiter, ob haupt- oder ehrenamtlich, kleiner, der Bedarf aber größer wird?
Das Bedürfnis nach Spiritualität ist – genauso wie bei allen anderen Menschen auch – bei Menschen mit Demenz vorhanden. Es kann sogar in der Phase, in der Menschen merken, dass sie sich verändern, größer werden, weil sie sich mehr mit dem Sinn in ihrem Leben beschäftigen. Als Kirche haben wir überkonfessionell die Aufgabe, darauf zu antworten. Gottesdienste sind ein Teil dieser Antwort. Es gibt weitere Möglichkeiten, etwa die Einzelbegleitung. Man kann in Einrichtungen auf den Zimmern kleine „Sinn-Zeiten“ anbieten, wobei man mit sinnlich erfahrbaren Gegenständen versucht, ins Gespräch zu kommen. Dazu gibt es Hilfen wie etwa eine Sinn-Box mit Materialien zum Fühlen und Riechen.
Was Gottesdienste betrifft, schauen wir gerade, ob nicht auch ausgebildete Wort-Gottes-Feier-Leiter und -Leiterinnen bereit sind, in Pflegeeinrichtungen zu gehen.

Sind solche Angebote nicht auch ein Pluspunkt für eine Pflegeeinrichtung?
Ja, hier gibt es für die Kirchen viel Potenzial. Gottesdienste und spirituelle Angebote sind ein Qualitätsmerkmal, und gerade auch nicht-kirchliche Einrichtungen sind dafür offen.

Was sollten Menschen mitbringen, die sich ehrenamtlich für Menschen mit Demenz engagieren möchten?
Es braucht ein hohes Einfühlungsvermögen, das heißt, andere so sein zu lassen, wie sie sind, und sie nicht korrigieren zu wollen. Man muss sich auf die Welt eines Menschen mit Demenz einlassen. Dazu gehört auch, diese Welt spannend zu finden und davon ein bisschen fasziniert zu sein.
Interview: Anja Weiffen