Spurensuche in der Region

Faszination Lourdes

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Gläubige an der Grotte in Lourdes
Nachweis

Foto: imago/MaxPPP

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In der Grotte von Massabielle wird die Gottesmutter Maria verehrt. Dort erschien dem 14-jährigen Mädchen Bernadette Soubirous am 11. Februar 1858 erstmals die „schöne Dame“.

Mit rund sechs Millionen Pilgern jährlich gilt Lourdes als größter Marienwallfahrtsort Europas. Was macht die Anziehungskraft des Pyrenäenstädtchens aus? Eine Spurensuche, die auch zu Menschen in der Region führt.

„Bernadette wendet den Blick zur nächsten Pappel, um zu erkennen, ob in der Höhe vielleicht doch irgendein Wind beschäftigt sei, der sich im Dornstrauch von Massabielle verfangen hat. Atemlos starr verhält sich das sonst so zittrige Pappellaub. Sie dreht ihr Gesicht wieder der Grotte zu, die nicht weiter als zehn Schritt von ihrem Sitz entfernt liegt. Nun klammert sich auch die wilde Rose wieder regungslos an den Felsen. Wahrscheinlich war’s eine Täuschung vorhin. Dies aber ist keine Täuschung. Denn Bernadette reibt die Augen, schließt sie, öffnet sie, schließt sie, öffnet sie, wohl zehnmal, und es bleibt trotzdem.“

Diese Zeilen stammen von Franz Werfel (1890–1945). Sie beschreiben den Augenblick, bevor die 14-jährige Bernadette Soubirous, asthmakrank und in Armut aufgewachsen, erstmals ihre „schöne Dame“ sieht. Minutiös hat der österreichische Schriftsteller jüdischer Herkunft die Ereignisse im Jahr 1858 um Bernadette und ihre Erscheinungen geschildert. Werfel floh vor den Nazis nach Südfrankreich, in Lourdes fand er im Sommer 1940 Unterschlupf. Er gelobte, die Vita der Heiligen literarisch festzuhalten, falls er sich ins Exil würde retten können. Fünf Monate nach seiner Ankunft in den USA löste er sein Versprechen ein. Sein Roman „Das Lied von Bernadette“ wurde ein Welterfolg.

„Angerührt von der tiefen Gläubigkeit“

Einzug in die Kirche in Lourdes
Einzug in die unterirdische Basilika St. Pius X.
Foto: privat

Auch Bodo Stumpf kennt Werfels Buch. Der Diakon ist Gründungsmitglied des Lourdes-Freundeskreises Hackenheim/Planig bei Bad Kreuznach im Bistum Mainz. „Auf unseren Pilgerreisen schauen wir uns während der Busreise die Verfilmung des Romans an“, erzählt er. Diakon Stumpf organisiert federführend die jährlichen Wallfahrten. Diesmal, im Heiligen Jahr, fährt die Gruppe zum 30. Mal nach Lourdes. Vom 19. bis26. August werden die rund 30 bis 40 Wallfahrer unterwegs sein. „Der Lourdes-Freundeskreis zählt aktuell 130 Mitglieder“, berichtet er. Viele seien im fortgeschrittenen Alter, erläutert der Diakon, aber es kämen auch immer wieder Jüngere dazu.

Erstmals fuhr im Jahr 1992 eine Gruppe aus den Gemeinden Hackenheim und Planig in den Marienwallfahrtsort. Ein Jahr später war der Freundeskreis gegründet. Nur kurze Zeit später wuchs die Zahl der Mitglieder sprunghaft an. „Wir hatten wohl einen lang gehegten Wunsch unserer Pfarrgemeinde aufgegriffen“, denkt der Diakon.

Wolfgang Zeiler vom Freundeskreis kam über eine Brieffreundschaft in seiner Jugend erstmals nach Lourdes. Damals besuchte er als 16-Jähriger mit den Eltern die befreundete Familie in Südfrankreich. „In Lourdes war ich fasziniert vom Heiligen Bezirk, von der inneren Ruhe, von dieser ganz anderen Entspannung dort“, erzählt er. Die Prozession und das Ave Maria in all den verschiedenen Sprachen beeindruckten ihn. Von den vielen Andenkenläden vor den Toren des Heiligen Bezirks sei er jedoch irritiert gewesen. Später las er die Botschaften der Marienerscheinungen der Bernadette im französischen Original. Mit dem Lourdes-Freundeskreis hat Wolfgang Zeiler den Wallfahrtsort für sich neu entdeckt. „Ich möchte so oft wie möglich wieder dorthin fahren.“

Marita Trautmann nahm vor zwei Jahren erstmals an der Wallfahrt der Bad Kreuznacher Gruppe teil. „Nachdem mein Mann gestorben war“, ergänzt sie. Lourdes stand sie zuvor skeptisch gegenüber. „Aber als ich dort war, wurde ich angerührt von der tiefen Gläubigkeit der Menschen und der Atmosphäre. Ich war positiv überrascht, ich möchte ein zweites Mal hinfahren“, betont sie. Diakon Stumpf kennt das Phänomen. „Wenn man einmal dort war, will man wieder hin: Diesen Satz habe ich oft gehört“, sagt er. Elf Lourdes-Wallfahrten zählt Anita Reinemann, Jahrgang 1944. Sie erinnert sich an ihre Mutter, die ihr die Lourdes-Begeisterung vorausgesagt hatte. „Du wirst schon sehen, sagte meine Mutter immer, wenn ich meinte: Ach, Lourdes …“, erzählt Anita Reinemann. Ihre Mutter behielt Recht.

„Für mich ein Stück Himmel“

Die Tradition der Marienverehrung, spielt eine wichtige Rolle bei der Lourdes-Begeisterung. Anita Reinemann erzählt vom Marienaltar, den es bei ihnen damals zu Hause gab. Auch Bodo Stumpf wuchs mit der Verehrung der Gottesmutter auf. In Lourdes geht es zudem um den sichtbar anderen Umgang miteinander. Marianne Bäumchen (52), ebenfalls vom Lourdes-Freundeskreis, sagt es so: „Dort haben die Kranken Vorrang, sie kommen zuerst und haben die besten Plätze. Die anderen warten. So sollte es eigentlich sein. Für mich ist Lourdes ein Stück Himmel.“

Der Lourdes-Freundeskreis Hackenheim/Planig
Der Lourdes-Freundeskreis Hackenheim/Planig am Wallfahrtsort
Foto: privat

Die Hoffnung auf Heilung zieht Massen in den südfranzösischen Ort. Karlfried Enders, Mitorganisator des Hackenheimer und Planiger Freundeskreises, stellt fest: „Ich denke, dass die meisten Pilger mit versteckten oder offenen Problemen bei sich selbst oder im Familien- und Freundeskreis nach Lourdes fahren, wo sie sich an diesem Gnadenort Hilfe in irgendeiner Form erwarten.“ Zudem sei auch eine Portion Neugier dabei. „Man will sich selbst ein Bild machen, nachdem man die Euphorie bei Freunden und Bekannten nach deren Pilgerfahrt nach Lourdes erleben durfte“, so Enders.

Die Ereignisse um Bernadette Soubirous waren von Beginn an kein Geheimtipp. Der Schriftsteller Franz Werfel, der seinen Roman nicht als Fiktion schrieb, sondern sich nach dem überlieferten Wissen richtete, schilderte die Vorgänge im damaligen Lourdes: Hunderte, schließlich Tausende zog die Nachricht von den Erscheinungen 1858 in die Grotte Massabielle. Auch nüchterne Gemüter wie etwa ein Steuerverwalter namens Estrade wollten dabei sein. Estrade erlebte Bernadette bei einem polizeilichen Verhör. Dabei „hatte ihn die Fasziniertheit der Bernadette – seine eigenen Worte – in hohem Grade selbst fasziniert“, heißt es in Werfels Roman. „In dem kindlichen Persönchen schien eine Bestimmtheit und Überzeugungskraft zu stecken, gegen die Estrade seinen eigenen kühlen Sinn nicht recht behaupten konnte.“

Die „Faszination Lourdes“ entfaltet sich vor allem auch durch die Geschichte der Bernadette. Für die Mitglieder des Lourdes-Freundeskreises ist sie eine Identifikationsfigur. „Sie war ein normaler Mensch wie wir. Wie eine von uns“, finden Anita Reinemann und Marianne Bäumchen. Bernadette führe die Pilger zu Maria. Und bei Maria, „findet jeder ein offenes Ohr“, so steht es einladend in der Ankündigung zur diesjährigen Wallfahrt der Bad Kreuznacher. Maria, heißt es dort, ist „die Straße, die zu Christus führt“. Lourdes lebt vom Zeugnis, angefangen von Bernadette bis zu den Millionen Pilgern heute. Die Votivtafeln dort sprechen von Heilung – erst im April wurde das 72. kirchlich anerkannte Wunder verkündet –, von Dankbarkeit und erfüllten Hoffnungen. „Diese vielen Menschen“, ist Diakon Bodo Stumpf überzeugt, „können nicht alle irren.“

Anja Weiffen

Mariengrotten in der Region

Bad Salzschlirf:  Vor110 Jahren, am 9. Mai 1915, wurde die große Mariengrotte in Bad Salzschlirf geweiht. Die Bad Salzschlirfer entschieden sich in den „schweren Zeiten kurz vor dem ersten Weltkrieg“ zum Bau der Grotte in dem ehemaligen Kalksteinbruch. Sie bietet einen Blick auf den Kurort im Tal.

Neuhof: Die Mariengrotte am Opperzer Berg im osthessischen Neuhof wurde von 1925 bis 1929 errichtet. Sie wird vom „Freundeskreis Mariengrotte Neuhof“ betreut. Eine zweite Mariengrotte, angelegt 1977, gibt es im Neuhofer Ortsteil Tiefengruben in der Verlängerung der Kapellenstraße.

Rommerz:Die Mariengrotte Rommerz wurde 1987 eingeweiht. Im Mai lädt der Liturgiekreis der dortigen Gemeinde zu Maiandachten ein.

Schwickershausen: Mariengrotte von 1934, die der Lourdes-Grotte nachempfunden ist. Sie liegt auf dem Kercheweg in der Nähe von Bad Camberg, einem Rundweg von 25 Kilometern, der Kirchen, Kapellen, Bildstöcke, Wegekreuz und die Grotte verbindet. Infos: pilgern.bistumlimburg.de

Horbach: Die Horbacher Mariengrotte, 1949 eingeweiht, liegt in einem alten Schiefersteinbruch. Sie geht auf ein Gelübde der Horbacher zurück, da die Gemeinde weitgehend von Kriegsschäden verschont blieb.

Klein-Winternheim: Die kleine Mariengrotte liegt am Panoramaweg in den rheinhessischen Weinbergen südöstlich von Klein-Winternheim.