Selbstbestimmt und lebensdienlich

Glauben ohne Manipulation

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Selbstbestimmt und lebensdienlich – so soll nach Ansicht des Katholischen Deutschen Frauenbunds (KDFB) christliche Spiritualität sein. Solch eine Spiritualität schütze vor sexuellem Missbrauch, sagt Theologin Regina Heyder. Von Ruth Lehnen



Was ist Spiritualität? Eine Definition sagt, christliche Spiritualität sei „Glaube in Aktion“: Die gute Beziehung zu Gott, den Mitmenschen und sich selbst. Die Betonung liegt auf „gut“. Denn es gibt auch missbräuchliche Situationen, in denen das spirituelle Selbstbestimmungsrecht verletzt wird. Dieses sensible Thema hat am Ende des vergangenen Jahres der Katholische Deutsche Frauenbund (KDFB) in einer Arbeitshilfe unter dem Titel „Spirituelle Selbstbestimmung“ aufgegriffen. 

Vernachlässigung, Manipulation und Gewalt

Erarbeitet hat das Papier die Theologische Kommission des KDFB, deren Vorsitzende Dr. Regina Heyder ist. Für sie ist eine selbstbestimmte Spiritualität vor allem eine lebensdienliche Spiritualität. „Wer sich für spirituelle Selbstbestimmung engagiert, arbeitet gegen sexuellen Missbrauch“, sagt die Theologin, die beim Theologisch-Pastoralen Institut (TPI) der Diözesen Fulda, Limburg, Mainz und Trier arbeitet. Bekannt ist, dass spiritueller oft dem sexuellen Missbrauch vorangeht.
Um zu verdeutlichen, worum es geht, hat der KDFB Beispielgeschichten zusammengetragen. Ein Verfahren, dessen sich die Frauen der Theologischen Kommission schon für ihr Buch „Erzählen als Widerstand“ bedient hatten. In dem Buch berichteten erwachsene Frauen aus der Kirche davon, wie sie sexuell missbraucht worden waren. Weil spiritueller Missbrauch von Täterinnen und Tätern zur Anbahnung sexuellen Missbrauchs benutzt wird, ist das Buch „Erzählen als Widerstand“ auch ein Buch über spirituellen Missbrauch.
Was spiritueller Missbrauch ist, hat die Theologin Doris Reisinger näher beschrieben. Danach gibt es drei Formen spirituellen Missbrauchs. Die erste Form ist die spirituelle Vernachlässigung – jemand wird in seinen spirituellen Bedürfnissen nicht ernstgenommen. Die zweite Form ist die spirituelle Manipulation – das Glaubensleben wird nach und nach kontrolliert, die lebenspraktische und moralische Urteilsfähigkeit geschwächt. Die dritte Form ist die spirituelle Gewalt, wenn etwa jemand, der einen Arzt braucht, diese Hilfe verweigert wird mit dem Hinweis auf die Hilfe Gottes.

Dr. Regina Heyder leitet
die Theologische Kommission
des KDFB, die die Arbeitshilfe
herausgegebe hat.

Diese Formen spirituellen Missbrauchs kommen zum Beispiel in Ordensgemeinschaften und neuen geistlichen Gemeinschaften vor. Regina Heyder erwähnt den Fall des slowenisch-römischen Jesuiten und Künstlers Marko Ivan Rupnik. Rupnik hatte in den 1980-er Jahren zusammen mit Ivanka Hosta die Gemeinschaft der Loyola-Schwestern gegründet.
Vorwürfe aus den Reihen der Schwestern sind seit vergangenem Dezember öffentlich und werden derzeit untersucht. Rupnik selbst war kurzzeitig  exkommuniziert, weil er einer Schwester in der Beichte die Vergebung zugesprochen hatte, die sich auf eine sexuelle Beziehung mit ihm selbst bezog; dieser Sachverhalt ist nach dem Kirchenrecht eine schwere Sünde.
Von Marko Rupnik haben sich mittlerweile viele distanziert und fordern Aufklärung; die slowenische Bischofskonferenz, die Universität Gregoriana, die Jesuiten und das Vikariat Rom. Für Regina Heyder steht fest, dass er Schwestern spirituell und sexuell missbraucht hat. Marko Rupnik, der mehr als 200 Kirchen und Kapellen mit Mosaiken ausgestaltet hat, gilt als gut vernetzt. Er ist eine charismatische Person, die Menschen in ihren Bann ziehen kann. Das gilt für viele, zum Beispiel auch weibliche Ordensobere, die andere spirituell manipulieren und unter Druck setzen.

Charismatisch und gefährlich

Regina Heyder räumt auch mit dem Vorurteil auf, die Opfer solcher Strategien müssten schwache Menschen sein, denen es am Willen fehlt, sich selbst zu behaupten. „Immer wieder wird gefragt: ,Wem passiert denn so etwas?‘ Die Antwort ist: ,Es kann jedem passieren‘“. Spiritueller Missbrauch sei kein Thema nur für Frauen, meint Heyder. Alle Menschen seien in der Gefahr, in dem sensiblen Bereich spiritueller Selbstbestimmung fehlgeleitet und verletzt zu werden. Das Thema gehe alle an, die spirituell auf der Suche sind, auch jenseits der christlichen Religion, betont sie.
Der KDFB regt mit der Arbeitshilfe zum Nachdenken an: Wie steht es in Gemeinden, im Verband, in der Schule mit der spirituellen Selbstbestimmung? Auch Warnsignale werden benannt. Es ist zu wünschen, dass mit der Arbeitshilfe tatsächlich gearbeitet wird. Das Theologisch-Pastorale Institut bietet immer wieder Kurse zum Thema an.

 

https://bistummainz.de/bildung/tpi/
Hier geht's zur Arbeitshilfe: https://www.frauenbund.de/wp-content/uploads/KDFB_AGTheoKomm_Einzelseiten.pdf

Hier geht's zum Porträt "Gefragte Frauen" Regina Heyder: https://www.aussicht.online/artikel/die-frau-die-etwas-bewirken-will

 

Ruth Lehnen