Sozialethikerin Ursula Nothelle-Wildfeuer über den Wert der Arbeit

Ist hier bald mal Feierabend?

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Alt und Jung bei der Arbeit
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Foto: istockphoto/Dusan Stankovic

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Gemeinsam geht’s: Bei der Arbeit können die Jungen von den Alten lernen – und umgekehrt.

Der 1. Mai ist der Tag der Arbeit. Aber welchen Wert hat Arbeit heute? Alte und junge Menschen haben dazu oft sehr unterschiedliche Ansichten. Die Sozialethikerin Ursula Nothelle-Wildfeuer erklärt, wie Unternehmen gut damit umgehen können – und wie sie es schaffen, dass die Generationen sich nicht zerstreiten, sondern voneinander profitieren.

Ihr Leben lang, sagt Ursula Nothelle-Wildfeuer, habe die Menschen aus ihrer Generation ein Problem verfolgt. Das Problem, dass sie zu viele waren. Die Freiburger Sozialethikerin ist 1960 geboren, in einem der geburtenstärksten Jahrgänge seit dem Zweiten Weltkrieg. Sie gehört zu den Babyboomern, die sich immer sorgen mussten: Kriege ich einen Job – und behalte ich ihn, bei all der Konkurrenz? Das Anliegen ihrer Generation, sagt Nothelle-Wildfeuer, sei es gewesen, fleißig zu sein, gute Ergebnisse zu bringen, nicht nur an sich selbst, sondern auch ans Unternehmen und die ganze Gesellschaft zu denken. Dafür habe diese Generation schon mal im Privatleben Zeit abgeknapst und private Interessen hintenangestellt.

Heute treffen Menschen wie Nothelle-Wildfeuer im Berufsleben auf jüngere Generationen. Die jüngste ist die Generation Z – sie umfasst alle, die zwischen 1995 und 2010 zur Welt gekommen sind. In vielen Unternehmen, in denen die Alten den Jungen begegnen, spüren sie: Die ticken anders als wir. „Arbeit ist für die Generation Z nicht mehr der sinnstiftende Mittelpunkt des Lebens“, sagt Nothelle-Wildfeuer. „Für sie kommt nicht mehr die Arbeit vor allem.“ Viele junge Menschen mögen keine Überstunden. Sie legen mehr Wert auf Freizeit und Familie. Manche wünschen sich sogar eine Vier-Tage-Woche, am liebsten bei voller Bezahlung. Und sie bekommen ihre Forderungen von der Chefetage zuweilen auch noch erfüllt. 

Denn die Zeit geburtenstarker Jahrgänge ist lange vorbei, viele Unternehmen quer durch alle Branchen plagt heute ein Fachkräftemangel, und dieses Problem wird sich noch verschärfen. Die Jungen sind auf dem Arbeitsmarkt nicht zu viele, sondern zu wenige. Sie werden gebraucht. Und nicht nur deswegen, so glaubt Nothelle-Wildfeuer, setzt die Generation Z neue Prioritäten. Sondern auch wegen der Erziehung, von der sie geprägt ist. „Die Generation Z hat von ihren Eltern vermittelt bekommen, dass es nicht mehr nur um Geld und Besitz geht, sondern auch um andere, postmaterielle Werte“, sagt sie. „Das hat sie verinnerlicht und das setzt sie jetzt um.“

„Der christliche Blick ist geradein der Arbeitswelt von heute wichtig“

In vielerlei Hinsicht sei diese Entwicklung sehr wünschenswert, findet die Sozialethikerin: „Es ist schön, wie heute allgemein klar ist, dass auch Väter eine Erziehungsverantwortung haben.“ Und es sei zum Glück heute auch selbstverständlich, bei der Arbeit mal einen Abendtermin abzusagen, weil man auf seine kleinen Kinder aufpassen muss.

Die Großeltern der Generation Z, sagt Nothelle-Wildfeuer, hätten die typische Nachkriegsmentalität gehabt: Wir wollen was aufbauen, wir wollen was schaffen, unseren Kindern soll es mal besser gehen als uns. Die Eltern der Generation Z wollten eher, dass ihre Kinder ein Leben in Freiheit und Selbstverwirklichung führen können. Und die Generation Z wiederum spüre nun, dass es in einer Zeit voller Krisen und Ungewissheiten nicht nur um Arbeit, Wachstum und Fleiß geht, sondern dass andere Werte eben auch wichtig sind. Sie habe gelernt, sehr konsequent auf sich selbst zu achten und eigene Interessen durchzusetzen. Nothelle-Wildfeuer sagt: „Das ist ja erst mal ein berechtigtes Anliegen. Aber manchmal wird es halt übertrieben.“

Wie lassen sich die unterschiedlichen Haltungen in Unternehmen klug moderieren? Was können Führungskräfte tun, damit die einen nicht schlecht über die anderen reden, sondern gut mit ihnen zusammenarbeiten? Nothelle-Wildfeuer sagt, Chefinnen und Chefs sollten dafür sorgen, dass die Generationen regelmäßig miteinander ins Gespräch kommen – und dadurch spüren, dass sie sich gegenseitig bereichern und voneinander lernen können. 

Die Alten, glaubt die Sozialethikerin, könnten von den Jungen lernen, Projekte abzuschließen, ohne ständig Überstunden zu machen. Und sie könnten von ihnen lernen, dass man nicht von neun bis fünf Uhr fest am Schreibtisch sitzen muss, sondern Arbeit auch flexibler organisieren kann. Die Jungen wiederum könnten von den Alten lernen, wie man Konflikte regelt, wie man sich auch mal über das geforderte Maß hinaus engagiert, ohne dafür gleich einen Ausgleich zu erwarten.

Allen im Arbeitsleben, sagt Ursula Nothelle-Wildfeuer, helfe es, nicht zu denken: Wir allein wissen, wie’s geht. Sondern zu fragen: Wo können die anderen vielleicht etwas besser als ich? „Der christliche Blick ist gerade in der Arbeitswelt von heute wichtig“, sagt die Sozialethikerin. „Er hilft zu sehen: Die Alten werden gebraucht, und die Jungen werden gebraucht. Alle bringen etwas ein. Es geht nicht ohne die einen – aber auch nicht ohne die anderen.“

Andreas Lesch