Kirchenasyl im Visier

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Evangelische Petruskirche in Schwerin
Nachweis

Foto: Rainer Cordes

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In dieser Kirche kam es kurz vor Weihnachten zu einem aufsehenerregenden Polizeieinsatz. Zwei Kirchenasylanten aus Afghanistan sollten abgeschoben werden. 

Ein Abschiebungsversuch in einer Schweriner Kirche kurz vor Weihnachten hat hohe Wellen geschlagen. Vertreter der Kirchen erklären nun, warum die Praxis des „Kirchenasyls“ in bestimmten Fällen unverzichtbar ist.

In Schwerin ist die Polizei in die Räume der evangelischen Petruskirche eingedrungen, um dort untergebrachte Flüchtlinge aus Afghanistan zwecks Abschiebung festzunehmen. Diese Verletzung des „Kirchenasyls“ hat heftige Reaktionen ausgelöst. Auch Erzbischof Stefan Heße hat in einer Erklärung gegen den Bruch der lange bewährten Praxis protestiert. „Es ist erschreckend, dass im aktuellen Fall in Schwerin die staatlichen Stellen das Kirchenasyl zu brechen versuchten und die betroffene Familie der Gefahr einer erneuten Traumatisierung ausgesetzt haben“, so Erzbichof Heße. 

Erst im Juni 2023 hatte er in seiner Funktion als katholischer Flüchtlingsbischof gemeinsam mit dem evangelischen Flüchtlingsbischof Christian Stäblein die Petruskirche besucht und sich über die dortige Flüchtlingsarbeit informiert. 

Am Vormittag des 20. Dezember kam es in dieser Kirche in Mue­ßer Holz zu dem beanstandeten Polizeieinsatz. In einer Wohnung auf dem Kirchengelände befand sich eine vierköpfige Familie aus Afghanistan. Die beiden älteren Söhne, 18 und 22 Jahre alt, sollten nach Spanien abgeschoben werden. Nach Auskunft der Polizei hatte die Mutter mit Gewalt gegen sich und ihre Kinder gedroht. Der Aufbruch der Wohnung sei wegen einer Notsituation nötig gewesen. Der 22-jährige Mann soll sich selbst verletzt haben. Bei ihm und seiner Schwester seien am Körper versteckte Messer gefunden worden. Die 47-jährige Mutter habe sich in einem „psychischen Ausnahmezustand“ befunden. Sie wurde festgenommen und medizinisch behandelt. 

Die Flüchtlingsbeauftragte der Nordkirche, Dietlind Jochims, beschreibt die Ausgangslage der sechs afghanischen Schutzsuchenden. 


Afghanische Journalistin im Heimatland bedroht


„Die Familie ist mit einem spanischen Visum über den Iran in die EU eingereist und hat einige Zeit in Schleswig-Holstein gelebt. Erst vor wenigen Tagen hat sie Kirchenasyl beantragt und in Schwerin erhalten“. Der Familie sei über das Aufnahmeprogramm der deutschen Regierung ein Aufenthalt in Deutschland zugesagt worden, jedoch hätten sich die Visa-Formalitäten verzögert. Die Mutter sei Journalistin und Frauenrechtlerin. Das Leben der Familie sei unter dem Taliban-Regime in Afghanistan gefährdet gewesen. 

„Es ist ein Armutszeugnis für die Behörden, dass die Visa-Formalitäten viel zu schleppend angesichts der Lebensgefahr für die Familie bearbeitet worden sind“, sagt Dietlind Jochims. „Hier wurde der Schutzraum einer schwer traumatisierten Familie, die in ihrer Heimat mit dem Tod bedroht wurde, verletzt“, so Jochims.
 
Auch der Flüchtlingsrat MV hat den Einsatz scharf verurteilt. „Das allererste Mal wurde in Mecklenburg-Vorpommern die rote Linie überschritten und durch Polizei ein Kirchenasyl gebrochen“, heißt es in einer Mitteilung des Rates. „Das ist ein erschreckendes Signal an Geflüchtete, die in Deutschland Schutz suchen. Nicht einmal zu Weihnachten dürfen sie sich sicher fühlen.“

Sorgen machen sich jetzt auch die Kirchen. Das so genannte Kirchenasyl war bisher – trotz gelegentlicher Kritik – einvernehmlich zwischen Kirche und staatlichen Behörden geregelt worden. Dass Menschen in sakralen Räumen nicht verfolgt werden, ist eine uralte Regel in fast allen Kulturen und Religionen. Heute bedeutet Kirchenasyl die vorübergehende Aufnahme von abgelehnten und ausreisepflichtigen Asylbewerbern in einem kirchlichen Gebäude. 

Der Aufenthalt gibt den Flüchtlingen Zeit, um in Härtefällen einen abgelehnten Antrag neu zu prüfen und gegebenenfalls anders bewerten zu lassen. „Auf diese Weise lassen sich oft humanitär verantwortbare Lösungen finden“, erklärt Erzbischof Stefan Heße. „Mit dem Kirchenasyl beanspruchen wir als Kirche kein Sonderrecht; vielmehr wissen wir uns rechtstaatlichen Prinzipien verpflichtet.“ 

Menschen im Kirchenasyl sind also nicht „untergetaucht“. Die Behörden sind in der Regel davon informiert. So soll es auch bei der afghanischen Familie in Schwerin gewesen sein. Auf der anderen Seite sichern die Bis­tümer und Landeskirchen durch ihre Fachstellen, dass die Asyl gewährenden Gemeinden korrekt vorgehen und nicht in eine rechtliche Falle laufen. „Die Beratung und die Zuarbeit für eine gewissenhafte Prüfung wird für die katholischen Pfarreien in Hamburg von der Härtefallberatung der Caritas vorgenommen“, sagt Diakon Andreas Petrausch, Flüchtlingsbeauftragter des Erzbistums Hamburg. Auch die katholischen Gemeinden und Ordenshäuser auf dem Gebiet des Erzbistums geben seit vielen Jahren verfolgten Menschen Kirchenasyl. Die Zahl solcher Fälle schwankt. Im Jahr 2022 fanden 27 Menschen in katholischen Kirchenräumen Schutz, 2023 waren es 14 Personen. 

Erzbischof Heße verteidigt die bisherige Praxis: „Das Kirchen­asyl wird auch künftig gebraucht, um humanitäre Härten abzuwenden. Deshalb ist es wichtig, dass die Behörden die Tradition des Kirchenasyls respektieren. Bisher gab es hierfür verlässliche Verfahren, von denen ich hoffe, dass sie auch zukünftig praktiziert werden.“

Andreas Hüser