Zur Situation der "Tafeln" in der Region

Lange Schlangen, leere Körbe

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Die Situation der Tafeln und Brotkörbe ist angespannt: Kaum, dass sie die durch Corona notwendigen Veränderungen „im Griff“ hatten, geraten die Teams durch den Krieg in der Ukraine erneut unter Druck. Die Betriebskosten explodieren, die Zahl der Kunden wächst, nicht zuletzt Geflüchtete aus der Ukraine sind auf die Tafeln angewiesen. Zugleich nimmt vielerorts die Menge der gespendeten Lebensmittel ab. Von Maria Weißenberger



Bei der Viernheimer Tafel hat sich die Zahl der Kunden verdoppelt. Ohne die vielen Ehrenamtler ließe sich das Mehr an Arbeit nicht bewältigen.


Mehr als verdoppelt hat sich die Zahl der Kunden bei der Viernheimer Tafel: „Waren es vor Corona etwa 160, haben bei unserer letzten Ausgabe 330 Menschen Nahrungsmittel für sich oder ihre Familie abgeholt“, berichtet Herbert Kohl über die Entwicklung im Katholischen Sozialzentrum Viernheim. „Die größte Familie, von der ich weiß, besteht aus 16 Personen“, sagt der Gemeindereferent.
Allein 160 ukrainische Familien haben einen Berechtigungsausweis erhalten, weiß Kohl. Außerdem bewege die zunehmende Altersarmut immer mehr Rentner, die bisher knapp über die Runden kamen, jetzt, zur Tafel zu kommen.
Kohl rechnet damit, dass die Zahl der Kunden weiter wächst: „Bis zum Sommer werden weitere 80 Asylbewerber aus verschiedenen Ländern in Viernheim erwartet“, weiß er. Noch nicht abzusehen sei, wie sich die Inflation und mögliche Heizkostennachzahlungen im Winter auswirken.

Team an der "Grenze der Belastbarkeit"

Die Situation bringe das Team schon jetzt an die Grenze der Belastbarkeit. „Aber wir packen das“, meint Kohl. Froh ist er, dass ein Bundesfreiwilligendienstler für die Tafel tätig ist eine 450-Euro-Kraft eingestellt werden konnte. Wobei ihm bewusst ist: Ohne die zahlreichen Frauen und Männer, die ehrenamtlich bei der Tafel mitwirken, wäre die Arbeit nicht zu bewältigen.
Und es gibt eine Menge Arbeit: Ehrenamtliche holen die gespendeten Lebensmittel bei den Geschäften ab, sortieren sie und verteilen sie in der Ausgabestelle an die Kunden. „Außerdem haben wir immer 70 bis 80 Adressen von Menschen, die nicht kommen können, weil sie gehbehindert oder alt und gebrechlich sind“, erzählt Kohl. Für diese Kunden werden Lebensmittel in Taschen gepackt und ins Haus geliefert.
Durch die Auswirkungen des Ukraine-Kriegs war die Menge der Nahrungsmittel für die Tafel drastisch gesunken. „Das hat sich wieder etwas verbessert“, stellt Kohl fest. „Aber der vorherige Stand ist noch nicht wieder erreicht.“ Dennoch sei es möglich, dass alle Kunden an beiden Ausgabetagen in der Woche eine gut gefüllte Kiste mit Lebensmitteln erhalten. Dazu, betont Kohl, trägt auch die „riesige Hilfsbereitschaft“ der Viernheimer bei: Schulen sammeln Lebensmittel, Firmen und Privatleute spenden Geld, die Kollekte im ökumenischen Pfingstgottesdienst war für die Tafel bestimmt.

800 000 Euro dank der Crespo-Foundation

Vor wenigen Wochen kam zudem die gute Nachricht, dass die „Crespo Foundation“, eine gemeinnützige Stiftung mit Sitz in Frankfurt, die 58 hessischen Tafeln mit insgesamt 800 000 Euro unterstützt. Damit können Betriebs- und Spritkosten bezuschusst, aber auch dringend benötigte Lebensmittel zugekauft werden. „Eine Ausnahme aufgrund der aktuellen Notsituation“, erklärt Kohl. Denn grundsätzlich geben die Tafeln ausschließlich Waren weiter, die im Handel nicht mehr verkauft werden können, obwohl sie zum Verzehr geeignet sind. „Bis Ende des Jahres müssen wir wohl noch viele Lebensmittel dazukaufen, damit der Korb für alle gut gefüllt bleibt.“
Auch bei der Fuldaer Tafel macht es sich bemerkbar, dass viele Geflüchtete aus der Ukraine in der Stadt angekommen sind. „Die Zahl der Haushalte, die wir mit Lebensmitteln unterstützen, hat sich von circa 110 pro Ausgabetag auf rund 170 erhöht“, sagt Angela Bott, die im Büro der Tafel arbeitet. „Fast 400 Tüten packen wir für jeden Ausgabetag“, erzählt sie, „so viele wie nie zuvor.“ Immerhin drei Ausgabetage pro Woche hat die Fuldaer Tafel. „Die Geschäfte geben uns zwar nicht wesentlich weniger Ware als früher, aber ein dermaßen gestiegener Bedarf lässt sich damit nicht decken.“ Da seien Sachspenden von Firmen, Vereinen oder Privatleuten sehr willkommen.

Was in Viernheim die Kiste, ist in Fulda die Tüte

Was in Viernheim die Kiste, ist in Fulda die Tüte: Vor der Corona-Pandemie hatten die Kunden ähnlich wie im Supermarkt ihre Lebensmittel aussuchen können. Das lassen die gebotenen Abstands- und Hygieneregeln zurzeit nicht zu. „Jeder Haushalt erhält eine Tüte mit Obst und Gemüse und eine zweite mit Brot, Milchprodukten und Sonstigem, abgestimmt auf die Haushaltsgröße“, erklärt Angela Bott. Wobei sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter große Mühe geben, individuelle Bedürfnisse zu berücksichtigen: „Mit der Zeit lernt man die Kunden immer besser kennen, weiß, was sie nicht essen dürfen. Bei muslimischen Kunden ist zum Beispiel klar: Schweinefleisch kommt nicht in die Tüte.“
Trotz der großen Herausforderungen: Die Ehrenamtlichen – etwa 150 an der Zahl – sind hoch motiviert: „Wir schaffen das“, seien sie sich einig. Die Arbeit sei „top organisiert“, vom Ausstellen der Kundenausweise über Abholung, Sortieren und Ausgabe der Waren. „Zurzeit ist die Belastung hoch, aber gleichbleibend“, stellt Angela Bott fest. „Das liegt allerdings auch daran, dass wir uns im Interesse der Mitarbeitenden für einen Aufnahmestopp entschieden haben.“

Menschen auf der Warteliste

Dazu sieht sich auch die Tafel Rheingau/Caritas  mit  ihren  vier  Ausgabestellen in Geisenheim, Lorch, Oestrich-Winkel und Rüdesheim gezwungen.
Dies, nachdem es vor anderthalb Jahren endlich gelungen war, eine jahrelang geführte Warteliste „aufzulösen“ und allen 450  angemeldeten Kunden eine regelmäßige Versorgung durch die Tafel zu ermöglichen. „Mittlerweile ist die Zahl der Kunden auf 600 gestiegen, ausschließlich durch geflüchtete Menschen aus der Ukraine“, berichtet Diakon Gregor Mathey vom Caritasverband Wiesbaden-Rheingau-Taunus. Weitere 100 Menschen stehen auf einer neuen Warteliste. „Ich hoffe, dass viele Ukrainer in absehbarer Zeit nicht mehr auf die Unterstützung der Tafel angewiesen sind und sich die Lage wieder entspannt“, sagt Mathey.
Von einer verstärkten Nachfrage aufgrund der steigenden Inflation sei bei der Tafel Rheingau/Caritas bisher noch nichts zu bemerken. Allerdings könnten die Supermärkte oft nicht so viel Ware an die Tafel weitergeben wie früher. „Es gibt offenbar eine Tendenz, enger zu kalkulieren“, meint Mathey. Was im Sinne der Wirtschaftlichkeit und der Nachhaltigkeit durchaus einleuchtet. Für Menschen mit geringem Budget, die keine Mittel haben, um die steigenden Preise aufzufangen, kann es extrem schwierig werden, wenn sie bei der Tafel immer weniger Lebensmittel mitnehmen können. Grund für die Caritas, verstärkt um Spenden zu werben, damit das Angebot aufrechterhalten werden kann.

Von Maria Weißenberger