Lösungswege in der Klimakrise

"Lasst uns sofort anfangen"

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Auf einer Klimademonstration ist ein Luftballon mit der Aufschrift "Klima retten" zu sehen
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Foto: imago/Müller-Stauffenberg

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Protest: Bei einer Demonstration in Berlin 2019 forderten Schüler und Studenten mehr Klima- und Umweltschutz.

Was ist aus christlicher Sicht der richtige Weg, um die Klimakrise noch aufzuhalten: Diskussionen oder Aktivismus? Ein Streitgespräch zwischen dem Jesuiten Jörg Alt und dem Sozialethiker Johannes Wallacher.

Wie schätzen Sie aktuell die Dramatik der Klimakrise ein?

Jörg Alt: Der Weltklimarat hat gesagt, wir haben nur noch drei Jahre für die entscheidenden Weichenstellungen und bis 2030 müssen wir den Ausstoß der Treibhausgase um 43 Prozent verringern. Zurzeit steigen die Emissionen aber munter weiter. Und unsere Gesellschaft streitet immer noch über die falschen Fragen. 

Johannes Wallacher: Über die Dramatik der Situation gibt es keinen Zweifel. Je später wir handeln, desto schwerwiegender sind die Folgen. Und wir müssen nicht nur die Treibhausgase reduzieren, sondern uns weltweit auch an die schon nicht mehr vermeidbaren Klimafolgen anpassen. Dabei dürfen wir nicht länger andere drastische Umweltprobleme vernachlässigen, wie den Verlust der Artenvielfalt oder der Böden. Um Lösungen zu finden, müssen wir diese Krisen gemeinsam in den Blick nehmen.

Alt: Genau. Aber das Besondere an der Klimakrise ist, dass sie alle anderen Probleme verschärft. Was mich so ärgert, ist: Die politisch Verantwortlichen wissen um diese Dramatik. Aber sie tun immer noch so, als ob sie gegen die Naturgesetze ankommen. 

Wann fangen sie endlich an, der Bevölkerung Klartext zuzumuten?

Wallacher: Klar ist primär die Politik verantwortlich. Aber nicht nur die Politik verdrängt das Problem, auch die Gesellschaft. Die Widerstände in der Bevölkerung gegen die Energie- oder Landnutzungswende sind enorm. 

Was ist dann der Weg, um Gesellschaft und Politik zu den notwendigen Veränderungen zu bringen – in dem enorm hohen Tempo, das wir brauchen?

Alt: Dass ich mich mit der Letzten Generation auf die Straße klebe, ist ja kein Selbstzweck. Es ist eine Verzweiflungstat, um die Gesellschaft zu zwingen, sich den Tatsachen zu stellen.  

Jesuit Jörg Alt hat sich mit der Letzten Generation auf eine Straße geklebt, um für mehr Klimaschutz zu protestieren
Jörg Alt klebt sich mit Aktivisten der Letzten Generation auf Straßen fest, um Politik und Gesellschaft in der Klimakrise wachzurütteln. Foto: imago/aal.photo 

Aber Ihre Straßenblockaden stoßen bei der großen Mehrheit auf extreme Ablehnung. Ist das zielführend?

Alt: Klar polarisieren wir. Aber in der Geschichte des zivilen Widerstands ist es immer so gewesen, dass kleine Minderheiten gesagt haben: „So kann’s nicht weitergehen. Wir stemmen uns dem entgegen – und sind bereit, dafür ins Gefängnis zu gehen.“ Diese Leute waren zu allen Zeiten verhasst, sie wurden bekämpft und eingesperrt. Aber letztlich haben sie ihr Ziel erreicht, etwa bei der Überwindung der Apartheid oder beim Kampf für die Gleichberechtigung der Frauen. 

Wallacher: Kann man das wirklich vergleichen? Die Überwindung der Apartheid und der Kampf für die Gleichberechtigung der Frauen waren und sind Problemstellungen mit offensichtlichen Lösungen. Die Bekämpfung des Klimawandels ist deutlich komplexer. Hier gibt es zwar einen weitgehenden Konsens über das Problem, aber wir diskutieren nicht ernsthaft genug über geeignete Lösungen. Wir brauchen konstruktive Antworten, die wirksam, effizient und gerecht sind. Rein symbolische Forderungen wie die der Letzten Generation sind zu wenig.  

Sie fordert ein Tempolimit, die Einführung eines Neun-Euro-Tickets und die Einführung eines Gesellschaftsrats mit 160 Menschen, die einen repräsentativen Querschnitt der Bevölkerung darstellen, per Los bestimmt werden und der Bundesregierung klimapolitische Vorschläge machen sollen …

Wallacher: … und verspricht: Wenn die Forderungen erfüllt sind, hören wir mit dem Aktivismus auf. Das bringt uns nicht weiter. 

Alt: Die Frage, die dieser Gesellschaftsrat bearbeiten soll, ist aller Ehren wert: Wie kann Deutschland bis 2030 frei von fossilen Energien werden? Ich teile den Optimismus der Letzten Generation, dass ein neuer Gesellschaftsrat zu ähnlich fantastischen Ergebnissen führen kann wie zuvor der Bürgerrat Klima ...

… der 2021 in zwölf Sitzungen Empfehlungen erarbeitet hat, wie die Politik die Ziele des Pariser Klimaabkommens erreichen kann. 

Alt: Nur müsste klar sein: Diesmal kann die Politik nicht einfach nur Beifall klatschen und ignorieren, was der Gesellschaftsrat beschließt. Sondern seine Beschlüsse müssen das Programm bis 2030 sein – ungeachtet der Wahlen, die dazwischen sind. Die Parlamente müssen den Weg, den der Gesellschaftsrat vorgibt, umsetzen. Das ist natürlich ein Upgrade und eine Veränderung für unsere Demokratie, aber mir fehlen die besseren Alternativen.

Wallacher: Ich sehe den Gesellschaftsrat als interessantes Instrument. Aber zu sagen, er beschließt, was die Regierung dann einfach umzusetzen hat, untergräbt die demokratische Legitimation. Wir sollten uns eher fragen: Wie kommen wir innerhalb des demokratischen Systems verbindlich und mit geeigneten Anreizen voran? Sehr überzeugend finde ich da die Idee einer europäischen Klimazentralbank, die den Green Deal der EU umsetzt und die Zahl der Emissionszertifikate von Jahr zu Jahr deutlicher verknappt, damit klimaschädliches Verhalten immer teurer wird.

Alt: Ideen gibt’s genug. Aber Demokratie hat sich immer an die Herausforderungen der Zeit angepasst, und auch jetzt brauchen wir eine Anpassung, bevor uns der Klimawandel dazu zwingt. 

Wallacher: Ja, aber wir müssen dafür gesellschaftliche Mehrheiten gewinnen und das im Rahmen unserer demokratischen Prozesse erreichen. Mit dem Klima-Aktivismus, wie er sich momentan radikalisiert, mache ich mir große Sorgen um den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die Demokratie, die eh schon unter Druck gerät.

Alt: Wir drehen uns gerade im Kreis. Das, wofür Du plädierst, hat sich in den letzten 40 Jahren nachweislich als ungeeignet erwiesen, um den nötigen Wandel zu schaffen. Jetzt läuft uns die Zeit davon. Deshalb plädiert die Letzte Generation für Vollgas, während Du für gepflegten Diskurs bist.

Wallacher: Politik ist immer ein langsames Bohren harter Bretter. Wir sind in einer sehr schwierigen Situation. Aus christlicher Perspektive frage ich mich: Kommen wir hier mit einem apokalyptischen Ansatz wirklich weiter? Es ist ja nicht wahr, dass in den letzten 40 Jahren nichts passiert ist. Viel zu wenig, da gebe ich Dir recht. Aber mit einer Perspektive, die Hoffnung macht und konkret die positiven Auswirkungen notwendiger Veränderungen unterstreicht, erreichen wir mehr als mit Untergangsszenarien. 

Alt: Ich unterscheide zwischen schlechter und guter Apokalyptik. Die schlechte Apokalyptik sagt: Alles geht unter – rette sich, wer kann. Die gute Apokalyptik weist einen Ausweg aus der Katastrophe auf. Und die Letzte Generation macht gute Apokalyptik. Sie hat die Hoffnung nicht aufgegeben. Sie kämpft für eine gute Zukunft und ist bereit, dafür ihr Studium oder ihren Beruf aufzugeben. Ich bewundere den Optimismus in ihrer Bewegung enorm, merke allerdings auch, dass viele sehr gefrustet sind, weil sich in der Bundesregierung so wenig tut. 

Wie helfen Sie als Jesuit ihnen dann?

Alt: Ich sage: „Hey Leute, wenn Gott allwissend ist, hat er die Dummheit und Trägheit der Menschen vorhergesehen. Und wenn Gott allmächtig ist, hilft er uns auch, diese Wende noch zu schaffen.“ 

Wallacher: Aber sind diese Formen des Aktivismus geeignet, um die Gesellschaft für das Ziel der Transformation zu motivieren? Und ist es wirklich gute Apokalypse, wenn Leute ihr Studium oder ihre Berufsperspektive für den Aktivismus aufgeben? Ich würde die Leute eher motivieren zu sagen: Geht an die wichtigen Stellen in Wirtschaft und Politik und leistet dort euren Beitrag, um die Transformation voranzubringen!

Alt: Natürlich brauchen wir auch junge Leute, die in die Institutionen, in die Wirtschaft gehen, um den Wandel voranzutreiben. Aber wir müssen das Problem auch auf die Straße tragen – eben weil wir nur noch so wenig Zeit haben, die Wende zu schaffen. 
Wallacher: Mir sagen Politiker: In bestimmten Landesteilen ist das Thema Transformation unendlich schwieriger geworden durch die Polarisierung, die durch die Letzte Generation entsteht.

Mein Eindruck ist auch, dass viele Leute durch die Aktionen der Letzten Generation beim Klimaschutz dichtmachen – auch solche, die eigentlich offen für Veränderungen wären.

Der Sozialethiker Johannes Wallacher in einem Klassenraum
Johannes Wallacher glaubt, dass die Aktionen der Letzten Generation von der Suche nach Lösungen für das Klimaproblem ablenken. Foto: kna/Dieter Mayr

Alt: Ich diskutiere diese Frage mit der Letzten Generation. Sie sagt: Wir sind nicht hier, um einen Beliebtheitswettbewerb zu gewinnen, sondern um dafür zu sorgen, dass die Gesellschaft über die richtigen Fragen diskutiert. Wir müssen kapieren: Wir haben ein Problem! Wollen wir riskieren, dass wir Kipppunkte überschreiten und uns die Dinge um die Ohren fliegen? 

Wallacher: Jörg, das Problem ist unbestritten. Nur vergrößern wir mit diesen Aktionen nicht die Chance, es zu lösen. 

Herr Alt, was könnte im Idealfall aus der Störung durch die Letzte Generation erwachsen?

Alt: Ein Gesellschaftsrat, wie wir ihn fordern. All das, was Johannes Wallacher an tollen Ideen bringt, teile ich. Aber wo ist der Ort, wo das diskutiert, entschieden und verbindlich umgesetzt werden kann, ohne dass man dauernd wegen Wahlkampf und Regierungsbildung eine Pause macht? 

Und Sie glauben, wenn die Letzte Generation sich lange genug festklebt, kommt der Gesellschaftsrat?

Alt: Keine Ahnung. Wenn Olaf Scholz mit einem besseren Vorschlag kommt, bin ich gern bereit, den zu prüfen. Wir haben alle Lösungen, um die Energiewende zu schaffen. Aber wir müssen sie jetzt auch umsetzen. Wir müssen weg davon, dass eine Fünf-Prozent-Partei wie die FDP wichtige Initiativen sabotiert, weil sie am Tropf der Lobbyisten hängt.

Wallacher: Das ist zu einfach. 

Alt: Warum macht Bundesverkehrsminister Wissing kein Tempolimit? Das wäre doch mal ein tolles Symbol, um zu zeigen: Leute, wir meinen es ernst!

Wallacher: Ein Tempolimit nicht einzuführen, ist Symbolpolitik. Ein Tempolimit einzuführen, ist aber auch Symbolpolitik. 

Alt: 6,7 Millionen eingesparte Tonnen CO2 sind mehr als ein Symbol.

Wallacher: Wir könnten mehr gewinnen, wenn wir die Moore wieder renaturieren.

Alt: Super, lasst uns sofort damit anfangen! 

Wallacher: Ja, unbedingt! Und ich bin auch für ein Tempolimit, weil dies ein wichtiges Signal wäre, dass angesichts planetarischer Belastungsgrenzen maßvolle Einschränkungen möglich sind – und weil die Mehrheit dafür ist. Aber es wäre verfehlt zu glauben, dass damit und mit der Einführung eines Neun-Euro-Tickets das Klimaproblem nur annähernd gelöst wäre.  

Alt: Aber wir waren ja gerade bei der Frage, wie wir unsere Demokratie in dieser Krise handlungsfähig machen können. 

Wallacher: Wir könnten uns ein Beispiel nehmen an der Climate Change Commission in Großbritannien. Die wird jenseits von Wahlperioden besetzt und hat ganz andere Befugnisse als bei uns in Deutschland der Klimarat der Bundesregierung, der sich den Mund fusselig redet und keiner hört’s. Ich bin auch sehr dafür, die Legislaturperioden zu verlängern, damit wir mehr Langfristigkeit hineinbekommen. Das wäre für mich ein Upgrade der Demokratie. Immer mehr Menschen erachten die Letzte Generation dagegen als Institution, die demokratische Prozesse nicht akzeptiert. 

Alt: Der Letzten Generation die Liebe zur Demokratie abzusprechen, finde ich ziemlich dreist. Diese Leute leiden darunter, dass sie so wahrgenommen werden. 

Wallacher: Aber mit dem destruktiven Charakter ihrer Aktionen lässt sich der Eindruck schwer ausräumen!

Alt: Das sind hochintelligente Leute, die sich auch große Sorgen machen, dass die falschen Leute gestärkt werden. Trotzdem sehen wir keine Alternative zu dem, was wir tun. 

Aber sogar wenn die ganze Welt ab sofort alles richtig machen würde, würde sich die Erde erst mal weiter erhitzen – weil das Klimasystem zeitverzögert reagiert. Wie kriegt man da die Bevölkerung überzeugt, dass alle dauerhaft etwas verändern müssen?

Alt: Hoffnung macht mir wirklich, dass es in der Geschichte oft nervende Minderheiten geschafft haben, Veränderungen in der Gesellschaft herbeizuführen. Das Problem ist, dass die Klimakrise sich von allen anderen Krisen in einem Punkt unterscheidet: Wenn wir sie spüren, ist es zu spät. Die Letzte Generation macht ihre Aktionen also aus Verantwortung für unsere Welt heraus. Und diese Aktionen führen zu Talkshowdebatten, Bierzeltdiskussionen, Gesprächen am Abendbrottisch. 

Wallacher: Fakt ist aber auch, dass derzeit weniger über die geeigneten Instrumente des Wandels gestritten wird als über die Aktionsformen der Letzten Generation. Ich sehe die Gefahr, dass uns dies von der notwendigen gesellschaftlichen Verständigung auf konstruktive Lösungen ablenkt. 

Welche Schritte sollten die Kirchen im Kampf gegen diese Krise gehen?

Alt: Die Kirchen sollten sich viel lauter in den Diskurs einmischen. Gerade die katholische Kirche ist mir eindeutig zu leise. Dabei ist sie aufgrund ihrer Vernetzung in den Globalen Süden glaubhafter Bote der Tragödie, die dort wegen der Erderhitzung schon Alltag ist. Auch mir treten die Jesuiten aus dem Globalen Süden in den Hintern und sagen: „Mach was! Das ist Eure Scheißverantwortung!“ Natürlich höre ich immer wieder, Laudato si’ ist toll …

… die Umweltenzyklika von Papst Franziskus …

Alt: … nur beeindruckt die keinen Politiker. Ich würde mir wünschen, dass Bischöfe, Verbände und Diözesanräte viel klarer sagen: „Die weitere Verwendung von fossilen Energien ist unmoralisch, weil tödlich.“ Studien beweisen: Um gesellschaftliche Kipppunkte zu erreichen, sind klare Worte von Religions- und Kirchenführern wichtig. Wenn es die gäbe, sähe die Debatte in der Öffentlichkeit ganz anders aus.

Wallacher: Stimmt. Aber die Kirche steckt in einer erheblichen Glaubwürdigkeitskrise. 

Alt: In der Entwicklungshilfe und Armutsbekämpfung nicht. Da haben wir immer noch ein gutes Ansehen.

Wallacher: Aber nicht im Klimaschutz. Weil wir uns schwertun, ihn selbst umzusetzen. Es ist ja auch nicht so trivial. Versuch mal, unsere Hochschule für Philosophie hier in München bis 2030 klimaneutral zu machen, mit Gebäuderenovierung und allem, was dazugehört. Das müssen wir auch mal anerkennen: dass wir historisch vor einer einmaligen Herausforderung stehen.

Alt: Da sind wir uns einig.

Interview: Andreas Lesch


Zur Person: Der Präsident und der Priester

Johannes Wallacher (57) ist Wirtschafts- und Sozialethiker und Präsident der Hochschule für Philosophie in München. In der Deutschen Bischofskonferenz ist er Vorsitzender der Sachverständigengruppe „Weltwirtschaft und Sozialethik“. In einer Studie hat diese Gruppe untersucht, wie der Kampf gegen die Erderhitzung und die ökologische Wende gelingen können, ohne die soziale Spaltung zu verschärfen.
 

Jörg Alt (61) ist Jesuit, Priester und Sozialethiker. Er beschäftigt sich seit langem mit der Frage, wie wir Armut, Ungleichheit und die Klimakrise wirksam bekämpfen können, und hat dazu mehrere Bücher geschrieben. Zunehmend engagiert Alt sich auch aktivistisch fürs Klima, etwa mit Fridays for Future und der Letzten Generation.
 

Gemeinsame Vergangenheit: Alt und Wallacher kennen sich aus der Kampagne für ein Verbot von Anti-Personen-Landminen 1995 bis 1997, die Alt koordinierte und Wallacher wissenschaftlich begleitete.