Zuhause im Eli
Leben in die Bude!
Menschen, die in Not sind, muss man nicht lange suchen. Viele Bewohner von Altenheimen leiden unter Einsamkeit. Dagegen kann man etwas tun. In einem Hamburger Pflegestift sorgt ein Verein dafür, dass Leben ins Haus kommt.
Mona Lisa kommt von schräg unten. Sie schüttelt die Flossen, dreht eine Kurve. Dann schnappt der gelbe Segelflossendoktorfisch nach dem Futterregen – den allerdings auch Paulus, die Schläfergrundel, im Visier hat. Josefa, die Garnele, lässt der Kampf ums Futter kalt. Sie schwenkt ihre langen Fühler und trollt sich unter ihren Stein. Der kleine Seestern – er hört auf den Namen „Sterni“ – sucht sein Mittagessen friedlich im Sand, den er unter seinen Armen ständig hin- und herwälzt.
Die Tiere sind nicht allein. Ein Stuhlkreis hat sich um das Aquarium gebildet. Die Betrachter kommen auf Krücken und in Rollstühlen. Fischfütterung, das ist eine Attraktion im Malteserstift St. Elisabeth in Hamburg-Farmsen, fast so wie die Tagesschau oder ein Pokalendspiel. Jeder kennt hier die Marotten von Mona Lisa, Paulus und Josefa. Nicht jeder aber kann sich ein Südseeaquarium leisten, mit Salzwasseraufbereitungsanlage und Kühltruhe für das tiefgefrorene Futter.
Die Pflege des Aquariums zahlt keine Pflegeversicherung
Außerdem macht das „Eliquarium“ enorm viel Arbeit. Ulrich Fortmann gehört zu den Ehrenamtlichen, die diese Arbeit mit einigen Bewohnern leisten. Nach einem Schulpraktikum ist der 16-Jährige dabei geblieben. Jeden Samstagvormittag, wenn seine Schulkameraden shoppen gehen oder ausschlafen, hilft er für zwei Stunden im Pflegeheim mit.
Die Pflege eines tropischen Aquariums gehört natürlich nicht zu den Leistungen der Pflegeversicherung. Ebensowenig wie die anderen Aktivitäten im Haus, die Menschen ein wenig aus der Einsamkeit holen: Holzwerkstatt, Nähstube, rollende Küche, Gitarrengruppe, Fußball-Gemeinschaft, Ausflüge. Möglich wurde das alles durch einen eigenen Verein, den „Freundeskreis Zuhause im Eli.“ Seit gut vier Jahren besteht dieser Verein. Er hat seither 28 000 Euro Spenden gesammelt. Seine ehrenamtlichen Mitarbeiter werden geschult und begleitet. Und es kommen immer mehr Projekte dazu.
Sie alle haben ein Ziel: die Bewohner des Pflegeheims aus der Einsamkeit hinauszuholen und damit das zu tun, was das Stift allein nicht leisten kann. „In der Pflege ist bei uns alles geplant“, sagt Christine Driver, Leiterin des Malteserstifts St. Elisabeth. „Jede einzelne Tätigkeit , von der Medikamentenvergabe bis zum Waschen, ist festgelegt. Da könne kein Pfleger sagen: Ich bin jetzt mal für drei Stunden in der Holzwerkstatt.“
Deshalb ist die Hausleitung dankbar, dass der Verein da ist. „Soziale Betreuung gehört zwar auch zu unseren Leistungen. Aber in diesem Umfang, wie es jetzt geschieht, könnten wir es allein nicht anbieten. Wir hätten nicht das Fachwissen, um etwa eine Holzwerkstatt zu betreiben. Und wir hätten auch nicht das Geld dazu“, sagt Christine Driver.
Anders wurde alles, als Werner Heitmann kam. Heitmann arbeitet im Marketing eines norddeutschen Großunternehmens. Als er seine Ausbildung zum ständigen Diakon begann, brauchte er ein diakonisches Einsatzfeld. „Viele meiner Kollegen wollen Jugendarbeit machen. Das ist aber nicht so mein Feld. Ich war noch nie in einem Pflegeheim und dachte, ich könnte in der Pflege mithelfen“, erzählt er. Nein, bekam er
zu hören, ohne Ausbildung ist das nicht mal so schnell zu machen. „Aber wir haben etwas anderes.“
Es gab im „Eli“ eine Näherin, die einen Raum zum Nähen suchte. „Da kannst du helfen.“ Mit Lore Grohs, der Näherin und mit Stefanie Rohe-Braun, der heutigen Vorsitzenden des Freundeskreises hat Werner Heitmann dann die Nähstube aufgebaut. „Nähen konnte ich schon ein wenig vorher, habe aber viel dazu gelernt, aber vor allem habe ich die Menschen im Eli und ihre Leben kennengelernt“ sagt Diakon Heitmann.
Was er sah, rüttelte ihn auf. „Da gibt es Menschen, die nicht mehr aus ihrem Zimmer rauskommen können; die einsam sind; die unsere Hilfe brauchen.“ Und er erinnerte sich an den Appell des Papstes: Kirche muss an die Ränder der Gesellschaft gehen. „Hier waren sie, die Menschen am Rand. Man muss gar nicht weit gehen, sie sind bei uns direkt neben der Kirche.“ Werner Heitmann kann heute nähen. Etwas anderes konnte Werner Heitmann noch viel besser. Er hatte seine Berufslaufbahn als Tischler angefangen. Eine eigene Holzwerkstatt im Pflegeheim – war das denkbar? Heute gibt es sie, die pofessionell eingerichtete Holzwerkstatt im Keller.
„Viele Männer verkümmern im Heim“
Die Werkstatt ist das Reich der Männer. Frauen dürfen nicht mitmachen. Männer, das ist ein eigenes Thema im Altenstift, das zu 82 Prozent von Frauen bewohnt wird. „Männer sind schwierig“, sagt Diakon Heitmann. „Viele verkümmern im Heim, weil sie nicht so recht Kontakt finden.“ Wo Frauen auftauchen, bleiben die Männer oft weg. Das ist nicht nur eine Erfahrung in Altenheimen, aber dort besonders. „Wenn Sie das Erleben der Bewohner verstehen wollen, müssen Sie immer um 40 Jahre zurückrechnen, auch bei den Rollenbildern.“ Die Konsequenz: Um Männer aus den Zimmern zu holen, muss man Männerbereiche schaffen.
Das gemeinsame begleitete Bundesliga-Gucken ist so ein Schutzraum. Und die Holzwerkstatt. Da, wo gesägt, gefeilt wird, wo man Möbel repariert, Bilderrahmen fertigt. Die Holzkreuze aus dem „Eli“ hängen heute schon in ganz Hamburg. „Im Zweifelsfall können wir hier alles machen, nur die Sicherheit muss gewährleistet sein “, heißt die Devise. Die Männer machen in dieser Männerwelt gerne mit. „Einige sind so eingeschränkt, dass sie keinen Arm heben können. Die sind dann einfach so dabei, kommen zum Klönen oder Kaffeetrinken“, sagt Gun-nar Genz. Er gehört zum sozialen Dienst des Heims und leitet die Holzwerkstatt mit. Genz erzählt von einem Stammgast, der während der „Arbeit“ fast immer einschläft. „Wenn die Bandsäge angeht, pennt er ein. Er war früher Schlosser, und das Geräusch der Säge beruhigt ihn.“
Was früher war, spielt bei vielen Pflegepatienten ohnehin eine große Rolle. Sie leben in ihrer Vergangenheit und lassen sich zum Leben erwecken, wenn diese Vergangenheit Gegenwart wird. „Die Schwierigkeit“, sagt Werner Heitmann, „es gibt hier Leute, die kriegen Sie nicht aus dem Bett ’raus. Aber da war eine alte Frau, die wollte Bratkartoffeln essen.“ Also hat der Verein eine mobile Küche, Herd und Backofen auf Rädern angeschafft. „Damit fahren wir in die Zimmer und braten Bratkartoffeln und andere Sachen. Selbst jemand, der nicht mehr essen kann, hört sie brutzeln und riecht den Bratkartoffelduft.“
All das hört sich prima an. Im Alltag aber ist der Kampf gegen die Einsamkeit nie gewonnen. „Man muss ständig im Austausch sein und zu jedem Einzelnen den Kontakt suchen“, sagt der Diakon. Hat sich ein Mensch verändert? Zeigt er Anzeichen von Depression? Das ist ein ständiges Thema zwischen Pflegeleitung, sozialem Dienst und dem Diakon. Der organisiert nicht nur die Angebote, sondern führt auch Einzelgespräche in den Zimmern. Er betet mit den Bewohnern, widmet ihnen Zeit und ist einfach da. Unauffällig, mit einem Polohemd und Namensschild bekleidet, läuft er von Flur zu Flur. „Ich habe keine Scheu, in die Zimmer oder Wohnungen reinzugehen, einfach zur Tür reinzukommen“, sagt Heitmann. Natürlich erst nach dem Anklopfen.
Text: Andreas Hüser