Missbrauchsbericht für das Bistum Fulda
Prävention ist der Schlüssel
Bistum Fulda/Burkhard Beintken
Stellte den Abschlussbericht vor: Gerhard Möller, Sprecher des Vorstands der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexualisierter Gewalt im Bistum Fulda
Herr Möller, im Bericht kommt der Begriff „irritiertes System“ vor. Er beschreibt ein soziales System, das durch Störungen von Außen aus dem Gleichgewicht gerät. Können Sie diesen Begriff in Bezug auf Pfarreien erklären? Inwiefern sind Pfarreien „irritierte Systeme“?
Die Pfarreien sind dann irritierte Systeme, wenn sie mit den Traumata von möglichen und tatsächlichen Missbrauchsfällen der Vergangenheit jetzt konfrontiert sind. Oder wenn sie dieses Thema seit Jahrzehnten immer wieder mit sich geschleppt haben und Betroffene in den Pfarreien nicht den nötigen Rückhalt gefunden haben. Sie werden aber auch dann zu einem irritierten System, wenn gesagt wird, dass man sich nicht mit der Vergangenheit beschäftigen könne, weil stattdessen die aktuellen Probleme gelöst werden müssten.
Für Ihre Arbeit in der Unabhängigen Kommission haben Sie den Kontakt zu den Kirchengemeinden gesucht. Auf welche Schwierigkeiten sind Sie gestoßen?
Innerhalb der Kirchengemeinden war kein einheitliches Meinungsbild festzustellen. Wir haben eine Befragung durchgeführt und die Rückmeldungen waren eher schmal. Es zeigt sich, dass Missbrauch entweder gar nicht bekannt war oder auch tabuisiert worden ist. Und dass die Frage „Wie geht man mit Betroffenen um und was passiert eigentlich mit den Beschuldigten?“ ganz unterschiedlich gehandhabt wurde. Wir haben ja auch Interviews mit Betroffenen geführt, die sich zu Recht darüber beklagen, wie isoliert sie in den Gemeinden waren, nachdem sie Taten öffentlich gemacht haben.
Sie haben den Gemeinden einen Fragebogen geschickt. Was wurde darin abgefragt?
Zunächst haben wir eine Zuordnung vorgenommen. Unter anderem wurde gefragt: „Was kennen Sie, was wissen Sie davon?“, „Wie ist die Aufarbeitung einzuschätzen – auch in der Aufarbeitung gegenüber dem Bistum?“, „Gab es frühere Vorfälle?“. All das wurde mithilfe dieses Fragebogens erfragt, der auch nicht allzu umfänglich war, um den Pfarrgemeinden das Thema nicht noch zusätzlich zu erschweren.
Welche Erkenntnisse haben Sie aus den Rückmeldungen gewonnen?
Wir haben die Erkenntnis gewonnen, dass es ganz unterschiedliche Herangehensweisen gibt. Die Rückmeldungen der Pfarrgemeinden im engeren katholischen Gürtel um Fulda herum, waren nochmal geringer als diejenigen, die eher im Außenbereich des Bistums liegen. Daran sieht man, dass die Frage, wie offensiv Pfarreien mit dem Thema umgehen und wie transparent die Aufarbeitung ist, natürlich noch entwicklungsfähig ist. Man muss aber auch sehen: Wir haben es in den Pfarrgemeinden auch mit Ehrenamtlichen zu tun, die vielfältig gefordert sind, insbesondere jetzt etwa im Bereich der Organisations- und Gebietsreform.
Von 152 Pfarreien haben sich 19 an der Aktion beteiligt. Wie bewerten Sie die Rückmeldungen?
Nach unserer Vorstellung hätten es natürlich sehr viel mehr sein sollen. Aber wir haben gegenüber den Gemeinden das Angebot gemacht und wir müssen mit dem zurechtkommen, was an Rückläufen da ist. Ich möchte nicht die, die sich bemüht haben, jetzt noch kritisieren.
In einigen Gemeinden ist die Aufarbeitung ein dauerhafter Prozess, den man immer wieder anpacken muss. Das ist natürlich auch davon abhängig, ob es in der Vergangenheit Missbrauch gab. War das irgendwo bekannt? Ist das als Tabuthema behandelt worden? Wenn man in die Einzelanalyse einsteigt, muss man sich auch die Binnenstruktur einer Gemeinde genau anschauen.
Wie ist Ihre Einschätzung: Scheuen die Pfarreien das Thema Missbrauchsaufarbeitung, etwa weil sie verunsichert sind – oder sind sie das Thema leid und wollen sich nicht damit auseinandersetzen?
Ich denke, es gibt ein hohes Maß an Verunsicherung. Nachdem nun aber der Bericht veröffentlicht wurde, der Bischof auch nochmal sehr umfänglich Stellung dazu genommen hat, gibt es sicherlich Gemeinden, bei denen das Thema auf ein zusätzliches Interesse stößt. Was war eigentlich damals? Wie haben wir uns damals verhalten? Das ist sehr unterschiedlich ausgeprägt.
Wie kann eine gute Aufarbeitung auf Gemeinde-Ebene aussehen? Welche Hilfestellungen gibt es heute konkret?
Wir haben unterschiedliche Vorstellungen, Anregungen und Überlegungen in einem eigenständigen Kapitel zusammengefasst. Das richtet sich an unterschiedliche Adressaten. Was kann das Bistum machen? Was kann aber auch innerhalb der Gemeinden passieren? Und ist das alles umsetzbar? Kann man eine Gemeindeversammlung durchführen? Kann man eigenständige Aufarbeitungsformate entwickeln? Kann man über eine angemessene Erinnerungskultur auf lokaler Ebene eine Tabuisierung aufbrechen?
Wir gehen davon aus, dass mit den Verantwortlichen vor Ort – also mit den Pfarrern, den Pastoralen Teams, den Pfarrgemeinderäten – dieses Thema weiterzuverfolgen ist. Welche Modelle sich als besonders praxisnah herausstellen, das wird man erproben müssen.
Was sind die nächsten Schritte, die sich die Kommission im Blick auf die Aufarbeitung in Gemeinden wünscht?
Der Bischof hat bereits vor der Veröffentlichung unseres Abschlussberichts die Pfarrgemeinden angeschrieben und informiert. In Pfarrbriefen wurde das Thema von vielen Pfarrern aufgegriffen. Daher war bereits die Kommunikation über das Bistum an die Pfarrgemeinden sehr intensiv.
Wir als Aufarbeitungskommission haben nur einen zeitlich befristeten Auftrag, der Ende September endet. Mit der Vorlage unseres Berichts ist unsere Arbeit abgeschlossen. Aber das Thema ist damit natürlich nicht abgeschlossen. Die Bistumsebene wird sicherlich darüber nachdenken, eine Stelle zu schaffen, die Prävention sowie Intervention und das Thema insgesamt bearbeitet.
Es wird sicherlich auch immer wieder ein Blick in den Bericht nötig sein: Inwiefern sind Gemeinden mit dem Thema besonders konfrontiert? Was kann man im Bereich der Prävention tun? Die Bistumsverwaltung hat schon in vielfältiger Weise Projekte angestoßen. Entscheidend ist, dass man dem sexuellen Missbrauch vorbeugt. Das wird eine immerwährende Aufgabe sein. Nicht nur bei der Kirche, sondern auch bei allen anderen Institutionen.
Zur Sache
Der Abschlussbericht der Unabhängigen Kommission wurde am 17. Juni vorgestellt und an Bischof Michael Gerber übergeben. Er dokumentiert das Leid von Betroffenen, benennt strukturelle Versäumnisse und spricht Empfehlungen für notwendige Veränderungen aus. In einer Stellungnahme zeigte sich die Bistumsleitung tief erschüttert über das Leid der Betroffenen und die im Bericht dokumentierten Taten. Die Leitung betonte, dass die Aufarbeitung mit konkreten Schritten, noch zu klärenden Fragen und vor allem dem klaren Willen zur Veränderung weitergeht. Der Abschlussbericht und weitere Informationen der Unabhängigen Kommission sind online unter www.nurmitmut.de zu finden.