Maria Ward-Schule in Mainz
„Viel Zusammenhalt, Toleranz und Akzeptanz“
Marlene Strauß (96) und Helen Schottler (17) – anlässlich des 300-jährigen Bestehens der Maria-Ward-Schule in Mainz hat Anja Weiffen mit Frauen aus ganz unterschiedlichen Generationen über die Bildung von Mädchen gesprochen.
Familienbilder stehen in ihrem Wohnzimmer. Marlene Strauß blickt auf ein reichhaltiges Leben zurück. Auf eine berufliche Laufbahn bis zur stellvertretenden Schulleiterin und zugleich auf ein Leben als Ehefrau, Mutter, Großmutter. Sie wurde Lehrerin zu einer Zeit, als in Deutschland der „Lehrerinnenzölibat“ gerade abgeschafft wurde. 1955 begann die heute 96-Jährige an der Maria Ward-Schule (MWS) in Mainz zu unterrichten: Deutsch, Englisch und Philosophie. Mit der Leitung der Orientierungsstufe ab 1972 und als stellvertretende Direktorin von 1980 bis 1990 übernahm sie mehr Verantwortung. „Ich hatte als junge Frau damals die Wahl, einen Beruf zu ergreifen. Frauen heute haben diese Wahl oft gar nicht mehr. Sie müssen mitverdienen.“
Den Erfordernissen der Zeit gerecht werden
Marlene Strauß erzählt von ihren Anfangsjahren: „Die Maria Ward-Schule ermöglichte den Schülerinnen, in Berufe zu gehen. Genauso waren die Fähigkeiten für ein Leben als Ehefrau und Mutter im Blick.“ Mit dem Ruf aus Gesellschaft und Politik nach mehr Abiturienten, nach einer längeren und besseren Ausbildung vor allem auch für Mädchen suchte die Schulleitung nach immer neuen Möglichkeiten, um ihren Schülerinnen möglichst viele Wege der Berufswahl zu ermöglichen, berichtet die ehemalige Lehrerin. „Der Ruf nach mehr Abiturienten und mehr Bildung führte zu einem Anmeldeboom, die Reifeprüfung war das Ziel, die meisten strebten eine akademische Weiterbildung an.“ Der Wandel und Wechsel in der Schulorganisation über fast 20 Jahre mache deutlich, wie sehr die Schulleitung immer bemüht war, den Erfordernissen der Zeit und dem Wandel der Gesellschaft gerecht zu werden. „Auch in den Jahren des Wandels blieben die alten Anliegen wie Stärkung des Selbstbewusstseins der Frau, der Anspruch auf Mitgestaltung der Gesellschaft auf Grundlage des christlichen Menschen- und Weltverständnisses immer Motivation allen pädagogischen Handelns.“ Strauß fasst das damalige Bildungsziel der MWS zusammen: „Die Mädchen sollten ,ihren Mann stehen‘ – im Beruf und in der Familie. Der Wunsch war immer, sie ihren Möglichkeiten gemäß bereit für das Leben zu machen, egal für welche Aufgabe.“
Der Erwerb des „Fechenbacher Hofs“ 1968 war der Anfang der baulichen Erweiterung und Sanierung der Schule, der wegen der wachsenden Schülerzahl notwendig wurde. „Zugleich begann damit eine Zeit großer finanzieller Belastung und Sorgen, es begannen viele Jahre der Bettelbriefe. Nur im Zusammenspiel vieler Kräfte konnten diese Aufgaben bewältigt werden.“ Die meisten Kolleginnen von Marlene Strauß waren zu Beginn ihrer Tätigkeit Ordensfrauen. Die Maria-Ward-Schwestern (heute Congregatio Jesu) leiteten die Schule. Das Konzept der Schwestern: „Lehren heißt Dienst am Schüler.“ Die Schülerinnen wurden als Person geachtet, an ihren Sorgen wurde Anteil genommen, berichtet Marlene Strauß. „Die menschliche Zuwendung hat immer eine große Rolle gespielt. Über die Schulzeit hinaus wurde sie zum Beispiel in regelmäßigen Schultreffen gepflegt.“
Es ist Mittag. Schulschluss an der Maria Ward-Schule. Schülerinnen strömen über den Mainzer Ballplatz in alle Richtungen. Im Garten an der Schulkapelle verbringen ein paar Mädchen ihre Pause, hier ist Ruhe für ein Gespräch mit MWS-Schülerin Helen Schottler. Die 17-Jährige aus Bodenheim erzählt, wie sie an der MWS gute Bildung für Mädchen erlebt. „Ich empfinde es als etwas Besonderes, dass Mädchen in den MINT-Fächern (Mathe, Informatik, Naturwissenschaften, Technik) gefördert werden. Zwar hat nicht jede Schülerin Interesse daran. Aber das Klischee ,Jungs machen Mathe und Mädchen sind gut in Sprachen, Kunst und Deutsch‘ wird an der Schule außen vor gelassen“, betont sie.
Für „Jugend forscht“ Fischtreppen entworfen
Helen Schottler verweist darauf, dass sich die MWS Informatik-Schule nennt. Auch am Wettbewerb „Jugend forscht“ nimmt die MWS teil. „Wir gewinnen jedes Jahr etwas.“ Sie selbst hat einmal Treppen für Fische entworfen und ein Preisgeld erhalten. Biologie und Erdkunde sind ihre Leistungsfächer. Nächstes Jahr will die Zwölfklässlerin ihr Abitur machen, genaue Pläne für die Zeit danach hat sie noch nicht. „Wenn ich an einer anderen Schule gewesen wäre, hätte ich vielleicht nie den Mut gehabt, mich auszuprobieren. Ich habe nie das Gefühl, dass mir etwas unangenehm sein muss. Und Angst vor anderen zu sprechen, ist hier wenig ausgeprägt“, findet sie.
Während ihrer ersten Jahre an der MWS erlebte Helen Schottler noch die Ordensfrauen der Congregatio Jesu, die Mainz 2017 verlassen haben. „Mir ist damals aufgefallen, dass die Schwestern einen immer gekannt haben, etwa wenn man sich in der Stadt begegnet ist, zwar nicht mit Namen, aber sie wussten, dass man zur Maria Ward-Schule gehört“, erinnert sie sich. Das christliche Fundament der Schule spürt die Schülerin beim Umgang untereinander. „Ich erlebe viel Zusammenhalt, Toleranz und Akzeptanz. Auch wenn wir manchmal als Zickenschule bezeichnet werden, habe ich noch nie Mobbing erlebt. Und Marken-Kleidung interessiert hier niemanden wirklich.“
NACHGEFRAGT
„Selbstvertrauen aufbauen“
Fragen an MWS-Schulleiterin Dr. Andrea Litzenburger:
Sind Mädchenschulen noch zeitgemäß?
Vor wenigen Tagen traf ich einen Vater zweier ehemaliger Maria Ward-Schülerinnen, der mit voller Überzeugung sagte: „Es war gut, unsere Töchter auf eine Mädchenschule zu schicken, die eine studiert Maschinenbau in Darmstadt, die andere Informatik in Madrid, die Schule hat unseren Töchtern den Zugang eröffnet.“ Ein wichtiges Ziel: Förderung von jungen Frauen im MINT-Bereich (Anmerkung d. Redaktion: Mathe, Informatik, Naturwissenschaft und Technik), in dem sie unterrepräsentiert sind, der ihnen Zukunftsperspektiven eröffnet. In der Schule fällt der Konkurrenzdruck und häufig auch die vermeintliche Dominanz der Jungen weg, so dass die Mädchen ihre Zugangsweisen zu den Naturwissenschaften und zur Informatik finden und Selbstvertrauen aufbauen.
Seit 300 Jahren haben sich die Zeiten sehr verändert. Welchen Auftrag sehen Sie für die MWS heute und in Zukunft?
Wir wollen jede Schülerin entsprechend ihren Anlagen und Begabungen fördern. Die MWS vermittelt heute wie früher gute Bildung, ganz wesentlich gehört dazu die Wertevermittlung auf dem Fundament des christlichen Welt- und Menschenbilds. Unsere Schülerinnen sollen erfahren, dass der Einsatz für Gerechtigkeit und für Solidarität dem Leben Sinn verleihen kann. Deshalb gibt es ein verpflich-tendes Sozialpraktikum. Wir entwickeln unser Schulprofil weiter, so sind wir seit zwei Jahren Informatikprofilschule, das heißt, schon in der 5. Klasse haben die Schülerinnen Informatikunterricht und erlernen das Programmieren. Unsere Gesellschaft ist von der Gleichberechtigung immer noch weit entfernt trotz aller Fortschritte. Wir wollen unsere Mädchen zur gleichberechtigten gesellschaftlichen und beruflichen Teilhabe befähigen und sie zu selbstbewussten jungen Frauen erziehen.
Das Bistum gibt die Trägerschaft von mehreren Schulen ab. Vor dem Hintergrund: In welcher Weise sichert die MWS, die von einer kirchlichen Stiftung getragen wird, ihr christliches Profil?
Die Schwestern der Congregatio Jesu haben das Staffelholz an uns weltliche Lehrkräfte weitergegeben. Die ignatianische Pädagogik ist Kern unseres Schulprofils. Wir sind seit drei Jahren Mitglied im Netzwerk der ignatianischen Schulen in Deutschland, der Austausch und die Unterstützung, insbesondere durch das Zentrum für ignatianische Pädagogik in Ludwigshafen, helfen, unser Schulprofil weiterzuentwickeln. Zudem ist die Kooperation mit dem Schuldezernat des Bistums sehr gut. Wir wollen die Frage nach Gott wach halten. Wir feiern Gottesdienste in den Klassen, Jahrgängen, auch mit der ganzen Schule, es gibt viel religiöse Angebote durch die Schulseelsorge, dazu gehören der Jakobsweg, Tage im Kloster. Für die Jugendarbeit der GCL (Gemeinschaft Christlichen Lebens) haben wir ein eigenes Gebäude auf dem Schulgelände.
Von Anja Weiffen