"Früher haben uns deutsche Missionare geholfen, heute müssen wir helfen"
Wenn die Weltkirche ein Gesicht bekommt
Fast jeder fünfte katholische Priester in Deutschland stammt heute aus Indien, Nigeria, Uganda oder Polen. Die Kirche ist auf Seelsorger und Seelsorgerinnen „aus der Weltkirche“ angewiesen. Wie fühlen sich diese Menschen, die fernab ihrer Heimat Dienst tun? Eine Pastoralschwester und zwei Priester haben Christa Kaddar erzählt, wie es ihnen in ihren deutschen Gemeinden geht. Was bringen sie aus ihrer Heimat mit und was vermissen sie hier? Was können sie ihren Gemeinden hier geben? Was bereichert oder befremdet sie? Und was nehmen sie mit, wenn sie wieder zurückgehen?
Pfarrer Santhosh Thomas aus Indien
„Früher haben uns deutsche Missionare geholfen, heute müssen wir helfen“
Pfarrer Santhosh Thomas, 47, kam 2007 als bischöflicher Delegat nach Frankfurt, um die rund 300 Familien, die der Indischen Syro Malankarischen Katholischen Kirche in Deutschland angehören, zu betreuen. Sie waren bis dahin ohne eigenen Seelsorger. Für den sieben Jahre zuvor geweihten Priester war daran zunächst ein Stipendium an der Hochschule
St. Georgen gekoppelt. Später bekam er eine 50-Prozent-Stelle im Bistum Limburg. „Als der Pfarrer von St. Ferrutius in Bleidenstadt erkrankte, fragte mich Weihbischof Thomas Löhr, ob ich ihn vertreten könnte. Ich sagte zu, denn früher haben uns die deutschen Missionare geholfen, heute müssen wir helfen.“ Zunächst pendelte er zwischen Frankfurt und Taunusstein, was mit seiner erheblichen Reisetätigkeit in Verbindung mit der Betreuung der malankarischen Gemeinden anstrengend war. Inzwischen hat er eine feste Zwei-Drittel-Stelle in Bleidenstadt und ist mit einem weiteren Stellen-Anteil für die Malankaren zuständig.
Seine Frankfurter Gemeinde verteilt sich rund um die Mainmetropole in den drei Bis-tümern Limburg, Mainz und Fulda, außerdem hielt er auch Gottesdienste in Krefeld, Dortmund, Bonn und Heidelberg. Überall reiste er mit dem Zug hin. „Jetzt habe ich in München angefangen, eine Gemeinde aufzubauen und auch Berlin kommt dazu“, erklärt er. „Es gibt derzeit 1350 Malankaren in Deutschland, mit steigender Tendenz, denn es kommen viele junge Leute aus Indien, um hier als IT-Experten oder in der Krankenpflege zu arbeiten.“ Bis vor drei Jahren war er der einzige Pfarrer für Malankaren in Deutschland. Inzwischen haben auch andere indische Priester, die fest in deutschen Bistümern angestellt sind, 50-Prozent-Stellen für die Betreuung der malankarischen Katholiken erhalten.
Seine Zwei-Drittel-Stelle in der Pfarrei Heilige Familie Untertaunus führt er mit ganzem Herzen und vollem Engagement aus. „Wir sind hier drei Priester; mein Schwerpunkt ist der Kirchort St. Ferrutius in Bleidenstadt“, erläutert er. Hier wohnt er im Pfarrhaus, ist Ansprechpartner und zuständig für Gottesdienste, Taufen, Trauungen, Beerdigungen, übernimmt bis zu 15 Hauskommunionen im Monat und Krankensalbungen im Hospiz St. Ferrutius. „Als Seelsorger bin ich total froh in Taunusstein.“
Er räumt aber ein: „Die Situation war vorher mit drei Gemeinden noch lebendiger. Mit den elf Gemeinden der größeren Pfarrei braucht es noch Zeit.“ Die Pfarrer rotieren in allen elf Gemeinden. In St. Ferrutius ist er immer bei den Messdienerstunden und den Sitzungen des Ortsausschusses dabei. „Die unendlich langen Sitzungen in Deutschland sind nicht gut. Wir reden stundenlang über dieselben Themen – das stört mich.“ Insgesamt sei das System in Deutschland zwar besser, aber zu bürokratisch.
"Am Anfang war mir alles fremd. Jetzt befremdet mich nichts mehr."
„Am Anfang war mir alles fremd. Jetzt befremdet mich nichts mehr. Ich bin hier jetzt ein ganz ‚normaler‘ Seelsorger. Und Pater Norbert Possmann im Bistum Limburg ist wie ein Vater für uns ausländische Priester“, lobt er. „Natürlich fehlt die Heimat immer, aber weil ich mit indischen Menschen Gottesdienst feiere, habe ich hier ein Stück Heimat.“ Er feiert auch in der Pfarrei Heilige Familie Untertaunus gelegentlich malankarische Messen. Die „Buntheit“ wird von den Menschen im Untertaunus gut angenommen. Sie freuen sich auch, wenn ihr Pfarrer bei der Bleidenstädter Kerb im Pfarrhof indische Lieder singt.
„Schon im ersten Schuljahr wusste ich, dass ich Priester werden will“, erinnert sich Pfarrer Santhosh Thomas, „denn in meiner Pfarrei waren alle drei Priester Vorbilder für mich. Sie hatten ein hohes Maß an Spiritualität und haben sich gut um uns gekümmert.“ Auch in seiner Familie gab es einen Priester. Santhosh Thomas ist in Kerala, in Südindien, in einer Familie mit drei Geschwistern aufgewachsen. Er hat einen Bachelor-Abschluss in Philosophie und der altindischen Sprache Sanskrit; während des Theologie-Studiums hat er neben der Liturgiesprache Syrisch auch Hebräisch und Griechisch gelernt.
In seiner Heimat im südindischen Kerala war er Pfarrer von drei Gemeinden, später Hochschullehrer für die syrische Sprache und hatte eine Position für die Administration von 110 christlich-staatlichen Schulen übernommen, als sein Kardinal ihn nach Deutschland schickte. Neben der Seelsorge für die Malankaren und seine deutschen Gemeinden hat er die Übersetzung für das „Qurbono Taksa“, das Messbuch der syro-malankarischen Kirche, in die deutsche Sprache geleitet. Vier weitere Priester aus Deutschland und der Schweiz haben mitgewirkt. Auch das Gebetbuch für die Gemeinden haben sie übersetzt und die Übersetzung eines Katechismus für Kinder ist in Vorbereitung. „Die Kinder der Malankaren sprechen oft nur Deutsch, und wir halten auch Messen in Deutsch.“
Will Pfarrer Santhosh Thomas zurück nach Indien? „Mein Kardinal hat mich geschickt und er entscheidet, wie lange ich hierbleibe. Ich kann überall arbeiten und ich nehme meine Erfahrungen überallhin mit“, ist seine nüchterne Antwort.
Schwester Sushila Ekka aus Indien
„Krankensalbung ist nicht zum Sterben, sondern zum Stärken da“
Schwester Sushila, 63, ist 2008 mit drei anderen indischen Schwestern vom Orden der Mägde Mariens nach Deutschland gekommen. Sie wohnten zunächst vier Monate im Kloster der Schwestern der Göttlichen Vorsehung in Mainz-Finthen, bevor sie als Gemeinschaft ins ehemalige Pfarrhaus von Ober-Olm zogen. „Hier setze ich meine Arbeit fort, besuche hauptsächlich Kranke und Alte in der Pfarrei und im Altenheim, nehme mir Zeit, ihnen zuzuhören, bete mit ihnen, bringe ihnen die heilige Kommunion“, erzählt Schwester Su-shila, die auch die Hausoberin ist. „Ich erkläre ihnen die bedingungslose Liebe Gottes. Ich besuche viele alte und bettlägerige Menschen, die Angst haben, das Sakrament der Krankensalbung zu empfangen.“ Dann erklärt sie ihnen: „Krankensalbung ist nicht zum Sterben, sondern zum Stärken.“ Oft verbringt sie Zeit im Gebet mit den Angehörigen bei den sterbenden Menschen. „Ich kann hier nicht viel tun, aber eines weiß ich: Ich habe Sorge und Respekt für die alten Menschen und Liebe für die Kinder. Wir helfen gemeinsam als Gemeinde in der Pfarrei.“
Sie und ihre Mitschwestern erfahren viel Akzeptanz und Zuneigung. Sie findet es sehr ermutigend, wenn die Menschen in der Gemeinde sie als „unsere Schwestern“ bezeichnen, oder ihnen sagen: „Wir freuen uns, Sie hier zu haben.“
Sie beobachtet aber auch, dass die Jugend und viele junge Eltern mit ihren Kindern sich nicht für die Kirche interessieren und sonntags kaum zu sehen sind. „Das befremdet mich“, betont sie. „Ich vermisse es, wie es in meinem Heimatland ist. Jeden Sonntag ist die Kirche gefüllt mit Kindern, Jugendlichen, Jung und Alt. Viele Aktivitäten der Gemeinde werden in der Verantwortung der Gemeindemitglieder durchgeführt. Es gibt viel Zusammenarbeit zwischen Laien und Ordensleuten in der Kirche, und jedes Dorf übernimmt die Sonntagsliturgie.“
Schwester Sushila kommt aus dem indischen Bundesstaat Orissa. Schon im zweiten Schuljahr wusste sie, dass sie Nonne werden wollte. „Meine Eltern waren gottesfürchtige Menschen, die den Samen des Glaubens in mein Leben gesät haben. Ihre Mutter ermutigte sie, allen Schwierigkeiten und Versuchungen zu widerstehen: „Schau nicht zurück. Wenn du zu viel an unsere Familie denkst, wirst du in deiner Berufung schwanken.“
Als sie 18 Jahre alt war, trat sie ins Kloster in Sundargarh ein; 1980, im Alter von 21 Jahren, legte sie ihre erste Profess ab. Nach einem Studium an der Universität ist sie voll in die Arbeit der direkten Evangelisierung eingebunden worden. Sie missionierte auch in Dörfern, wo die Menschen keiner Religion angehörten, und gewann sie für die katholische Kirche; auch Menschen, die vom Glauben abgefallen waren, kehrten zurück in die Kirche. Sie gab Religionsunterricht in der Schule und bereitete auf Taufe, Kommunion und die Firmung vor.
„Ich bin froh und stolz auf meine Gemeinschaft, weil wir darin die Liebe füreinander erfahren. In den Tiefen und Höhen meines Lebens hat meine Gemeinschaft mich unterstützt und ermutigt. Eine ständige Beziehung zu Gott hilft und inspiriert mich, meine Arbeit zu tun, mein Leben mit anderen glücklich zu leben und Gottes Liebe an andere weiterzugeben“, erklärt sie. „Seit ich hierhergekommen bin, habe ich so viele Dinge für mein Leben gelernt. Sicherlich werde ich als glückliche Magd Mariens in mein Heimatland zurückkehren, voller Dankbarkeit mit vielen guten Erinnerungen an dieses schöne Land.“
Pfarrer Dr. Ifeanyi Emejulu aus Nigeria
„Ich möchte mehr Lebendigkeit ins Gemeindeleben bringen“
Seit 2015 ist Dr. Ifeanyi Emejulu Pfarrer der Gemeinde Maria von der Immerwährenden Hilfe in Nidderau, mit Sitz in Wind-ecken, das den Mittelpunkt des Gemeindelebens mit der 1987 erbauten Pfarrkirche und dem dazugehörigen Pfarrzentrum bildet. Nach Jahren in Freiburg, wo er 2009 promoviert hat, war er schon einige Zeit im Bistum Fulda tätig und kehrte nach einem zweijährigen Aufenthalt in seinem Heimatland Nigeria 2014 wieder zurück.
Zunächst tat er auf Bitte des Bistums Fulda noch in wechselnden Pfarreien Dienst. „Ich bin jetzt ganz und gar ein Priester des Bistums Fulda und will als Pfarrer in Windecken bleiben“, erklärt er. „Ich bin mit Leib und Seele Priester und Seelsorger und zufrieden mit mir selbst, meinem Leben und meiner Arbeit – und ich habe den Eindruck, dass die Menschen auch zufrieden mit mir sind.“
Den Eindruck vermitteln auch verschiedene Medienberichte, die ihn als herzlichen und zugewandten Seelsorger beschreiben. Schon seine Geburtstagsfeiern richtete er als regelrechte „Pfarrfeste“ aus. Am 21. Juli ist es wieder so weit – dann feiert er seinen 56. Geburtstag.
Befremdet hat ihn die Liturgie hierzulande. „Das ist nicht vergleichbar mit der Liturgie bei uns. Ich versuche, das ein wenig lebendiger zu gestalten, aber ich übertreibe nicht. Ich behalte das ‚Publikum‘ immer im Auge. Das ist auch ein Grund, warum ich hierbleibe: Ich möchte mehr Lebendigkeit ins Gemeindeleben bringen.“ Aufgrund seines Second Master’s Degree hätte er auch in die USA gehen können. „Aber ich lebe gerne in Deutschland.“
Das Gemeindeleben in Nigeria fehlt ihm manchmal, vor allem auch die Familie, zu der er engen Kontakt über WhatsApp und Videofilme pflegt. „Die Gemeinschaft fehlt mir manchmal, aber die Einsamkeit ist nicht gravierend, weil ich viele Freunde habe.“ Viele seiner Freunde aus Nigeria sind in Italien, einer seiner Brüder lebt in Holland. Er ist das fünfte von insgesamt neun Kindern, von denen acht noch leben.
Nach Weihnachten verbringt er meist vier Wochen Urlaub in seiner Heimat, wo er auch bemerkenswerte Projekte vorangetrieben hat.
Durch Stipendien fördert er die Ausbildung von Kindern, Studenten und Handwerkern, hat Spenden für den Bau einer Krankenstation, ein neues Schuldach und inzwischen drei Solar-Brunnen in seinem Heimatdorf Akwa gesammelt. Zu seinen Geburtstagen bat er um Spenden dafür und anlässlich seines silbernen Priesterjubiläums vor einem Jahr sammelte er Spenden für den Bau des dritten Solar-Brunnens, der Ende letzten Jahres eingeweiht werden konnte. 2019 wurde auf seine Initiative der Förderverein „Hilfe für Akwa“ gegründet, der langfristig weitere Projekte in dem Dorf unterstützen will. Auf die Frage, worüber er sich in Nidder-au am meisten freut, nennt er genau diese Hilfsbereitschaft und Anteilnahme an den Projekten in seiner Heimat, die für ihn auch menschlich wertvoll ist, weil es eine Verbindung zwischen beiden „Welten“ ist. Vor fünf Jahren hat er sogar eine Gruppe aus Nidderau mitgenommen nach Akwa, um ihnen einen Eindruck vom Leben dort zu vermitteln.
Will er irgendwann zurück nach Nigeria? „Ich werde nicht mehr endgültig zurückgehen“, versichert er. Aber als Pensionär werde ich die Zeiten, die ich in Nigeria verbringe, etwas ausdehnen.“
Zur Sache: Die Zahlen
Nach den Zahlen der Kirchenstatistik der Deutschen Bischofskonferenz von 2020 sind 2135 Priester aus dem Ausland in Deutschland tätig, darunter 1159 Ordenspriester. Schwerpunktländer, aus denen sie stammen, sind Indien und Polen.
Bistum Fulda:
- 32 Priester aus der Weltkirche sind im Bistum aktiv, dazu gehören auch Ordenspriester, sofern sie einen Seelsorgeauftrag haben. Sie stammen aus Indien, Polen, Kroatien, Nigeria, Kamerun und Kongo.
- Priester der Weltkirche, die mittlerweile rechtlich gesehen zum Bisum Fulda gehören („inkardiniert sind“), werden mit dieser Zahl nicht erfasst.
Bistum Limburg:
- 66 Priester der Weltkirche dürfen nach Anweisung des Bischofs in der Diözese wirken; derzeit sind es 63, die meisten stammen aus Afrika.
- In dieser Zahl sind nicht die Priester aus Diözesen mitgezählt, mit denen eine Kooperation besteht (Slowakei, Rumänien, Polen); ebenfalls nicht die Seelsorger, die zu 100 Prozent in einer muttersprachlichen Gemeinde arbeiten. Einige ausländische Priester sind außerdem inzwischen im Bistum Limburg inkardiniert.
- Hinzu kommen 46 Ordenspriester, davon 13 aus Indien.
- Derzeit sind 155 Ordensschwestern im Bistum tätig, darunter kommen 95 aus Indien und elf aus Nigeria.
Bistum Mainz:
- 27 Weltpriester sind im Bistum tätig, die in ausländischen Diözesen inkardiniert sind. Davon kommen zehn aus Polen und neun aus afrikanischen Ländern.
- Hinzu kommen 45 Ordenspriester aus dem Ausland, davon 18 aus Indien.
- 99 Schwestern aus dem Ausland sind in der Seelsorge tätig; 83 Schwestern in der Altenseelsorge und 16 in den Gemeinden; etwa 60 Schwestern kommen aus Indien, elf aus Kroatien.
Orientierungskurse für Priester aus der Weltkirche bietet regelmäßig das Theologisch-Pastorale Institut (tpi) für berufsbegleitende Fortbildung an: www.tpi-mainz.de