Dienstanweisung zum Energiesparen
Ziehen Sie sich warm an
Seit 1. Oktober gilt im Bistum Mainz die Dienstanweisung zum Energiesparen für Kirchengebäude. Die Aussicht auf Gottesdienste in den Wintermonaten bei wenigen Grad Celsius beschäftigt Pfarrer und Gemeindegremien. Von Anja Weiffen
Adrett gekleidet in den Sonntagsgottesdienst oder zum festlichen Adventskonzert in die Kirche? Bald werden wohl eher Handschuhe und Moonboots gebraucht. Viele Kirchengemeinden bereiten in diesen Wochen ihre Mitglieder auf ein anderes Temperaturniveau bei Gottesdiensten in den Herbst- und Wintermonaten vor. Mit der Bitte, die Maßnahmen solidarisch mitzutragen, geht in den Pfarrmitteilungen meist auch die Empfehlung einher: Ziehen Sie sich warm an.
„Viele schauen dann Fernsehgottesdienste“
Einige Kirchengemeinden haben bereits den Mut, Ungewohntes einzuführen. Die Pfarrei Friedberg/Hessen hat 180 Decken gekauft und regt die Gottesdienstbesucher an, auch eine eigene Decke mitzubringen. In St. Josef in Babenhausen werden Fleece-Decken verteilt, „solange der Vorrat reicht“. Auch in den Pastoralräumen Übertal und Neckartal, schreibt Koordinatorin Barbara Flößer, werden teilweise Decken angeschafft. Aber es sollen auch Gottesdienste reduziert werden oder Werktagsgottesdienste in anderen Räumen stattfinden.
Die Dienstanweisung des Bistums ist eindeutig: In Kirchen sollen die Heizungen mit Beginn der Heizperiode dauerhaft nur auf Frostschutz betrieben werden. Als Frostschutzeinstellung gilt eine Temperatur bei circa drei bis vier Grad Celsius. Das macht nicht wenigen Pfarrern und Gremien zu schaffen. Nachdem die Corona-Pandemie die vergangenen zwei Jahre Menschen entweder zeitweise oder dauerhaft vom Gottesdienst ferngehalten hat, kommt nun die nächste Sorge: Dass Gottesdienstmitfeiernde entweder frieren oder sich gleich ganz gegen den Kirchgang entscheiden.
Pfarrer Wolfgang Bretz, Leiter des Pastoralraums Alzey sowie Pfarrer von zwei Pfarrgruppen, befürchtet: „Viele schauen dann Fernsehgottesdienste statt in eine kalte Kirche zu gehen.“ Die drängende Notwendigkeit, Energie zu sparen, sei allen klar, und die Sparmaßnahmen würden umgesetzt, betont er. Zugleich blickt er mit Sorge auf die kommende Zeit und macht sich vor allem um die älteren Gottesdienstmitfeiernden Gedanken. „Das Durchschnittsalter der Mitfeiernden an den Sonntagen liegt bei rund 70 Jahren“, sagt er. „Gottesdienste zu streichen, ist schwierig, denn durch den Priestermangel sind sie schon um 50 Prozent reduziert“. Auch ein Verlegen der Gottesdienste in Gemeindezentren sieht er eher skeptisch, denn er weiß, dass das Kirchengebäude für viele wie ein Stück Heimat ist.
Aber noch etwas anderes treibt Pfarrer Bretz um: Energiesparen als Verordnung findet er zu streng. „Eine Empfehlung, wie es sie auch anfangs gegeben hat, hätte ich besser gefunden. Jetzt gibt es für die Gemeinden keinen Spielraum. Die Verantwortung für die Verwaltungsräte wird immer höher, auch durch andere Neuregelungen wie etwa bei der Umsatzsteuer. Ich befürchte, dass manches Verwaltungsratsmitglied durch diese zusätzlichen Auflagen innerlich kündigt.“ Um Heizkosten von 41 000 Euro im Jahr für die 14 Kirchen in seinen beiden Pfarrgruppen geht es. „Würden sich diese Kosten verdoppeln, hätten wir ein großes Problem“, sagt Wolfgang Bretz. Der Pfarrer in einer ländlichen Region bemerkt, dass es in Städten mit mehreren fußläufig erreichbaren Kirchen sicher leichter ist, flexibel mit Gottesdiensten umzugehen.
Städte haben allerdings wieder eigene Herausforderungen. Etwa in Mainz mit Kirchen, die von Touristen frequentiert werden und in denen sich Ehrenamtliche an Schriftenständen oder als Kirchenaufsicht aufhalten. Zudem werden gerne größere Advents- und Weihnachtskonzerte in Stadtkirchen angeboten. Pfarrer Thomas Winter, Pastoralraumleiter Mainz-City und Pfarradministrator mehrerer Innenstadtgemeinden teilt mit, dass sich zum Beispiel in St. Stephan die Gremien, der Förderverein Biblische Botschaft Marc Chagall und die Kirchenmusiker Anfang November beraten wollen. „Viele Konzerte sind schon abgesagt worden“, schreibt er. Für die vier Innenstadtkirchen seien zudem Decken bestellt worden. „Für Werktagsgottesdienste wollen wir zusammenrutschen im Chorraum der Kirchen beziehungsweise in kleinere Kapellen ausweichen“, erläutert Winter. Es werde aber noch weitere Überlegungen zum Thema geben, kündigt er an.
Nachgefragt auf der anderen Rheinseite bei Pfarrer Karl Zirmer, Pastoralraumleiter AKK-Mainspitze und Pfarrer für Bischofsheim, Ginsheim und Gustavsburg: Er verweist auf die unterschiedlichen Situationen in seinen Gemeinden. „In Bischofsheim liegt das Gemeindehaus ungünstig, so dass wir dort auch bei niedrigen Temperaturen wohl in der Kirche Gottesdienst feiern müssen. In Ginsheim wollen wir nur bei massiver Kälte ins Pfarrheim ausweichen.“
Gemeindemitglieder entscheiden mit
In Gustavsburg, berichtet Zirmer, würden die Gemeindemitglieder mitentscheiden, ob man ab dem ersten Advent für die Gottesdienste ins Gemeindehaus wechselt oder nicht. Die Gottesdienste sollen zudem kürzer gestaltet werden. Glücklich ist Pfarrer Zirmer mit dieser Situation nicht. „Dass Energieeinsparmaßnahmen kommen, war klar, aber dass die Maßnahmen so drastisch sind, hat mich überrascht.“
Von Anja Weiffen