Zwischen Beichtstuhl und Couch

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Die Ehe-, Familien- und Lebensberatung in Kiel wird 40 Jahre alt. Dort geht es immer um Menschen in seelischen Notsituationen – und in solche Situationen geraten immer häufiger auch junge Erwachsene und Senioren.

Installation auf dem Fotokunstpfad in Zingst
Installation auf dem Fotokunstpfad in Zingst Foto: Brigitte Frings

Es ist das Traumbild einer Familie: Die jungen Eheleute sind gut ausgebildet, sie sind ehrgeizig und stehen am Beginn einer aussichtsreichen Karriere. Ein Eigenheim ist schon gebaut, denn ihrem Kind soll es an nichts fehlen und das zweite ist auch schon unterwegs. Es ist wie im Bilderbuch. Doch das heißt noch lange nicht, dass diese Familie glücklich ist. „Solche Paare befinden sich häufig in einer Perfektionsfalle“, erläutert Martina Moosbauer, Leiterin der Ehe-, Familien- und Lebensberatung (EFL) in Kiel. Die Diplom-Sozialpädagogin und psychologische Beraterin kennt viele solcher Fälle aus ihren Beratungsgesprächen. Der eigene Wunsch, alles richtig und perfekt zu machen, und der soziale Druck können junge Leute völlig überfordern. Familie, Partnerschaft, der eigene Lebensentwurf: Alles steht plötzlich in Frage. In ihrer Not wenden sich Betroffene dann an die EFL, und zwar Frauen und Männer gleichermaßen.

Seit mittlerweile 40 Jahren gibt es die Ehe-, Familien- und Lebensberatung in der Landeshauptstadt. Das Team besteht aus drei Frauen und zwei Männern, die Menschen in schwierigen und oft existenziellen Lebenskrisen weiterhelfen. Ob die Betroffenen der katholischen Kirche oder überhaupt einer Kirche angehören, spielt dabei keine Rolle. Dennoch: „Im Hintergrund der Beratung stehen häufig Fragen nach Glaube, Hoffnung und Liebe“, sagt Martina Moosbauer. „Was glaube ich von der Welt und meinem Platz in ihr? Worauf richte ich meine Sehnsucht und meine Hoffnung aus? All das sind Fragen, die in vielen Beratungsgesprächen gestellt werden“, berichtet sie. 

Nach wie vor macht die Paar- und Lebensberatung für Frauen und Männer im Alter zwischen 30 und 50 Jahren den Löwenanteil aller Gespräche aus. Doch in existenzielle Krisen geraten immer häufiger auch junge Erwachsene. „Was deutlich zugenommen hat, ist der Anteil sehr junger Menschen zwischen 18 und 25 Jahren ebenso wie der Anteil männlicher Klienten“, so die EFL-Leiterin. 

Nicht selten stehen bei der Beratungsstelle am Alten Markt Studenten vor der Tür, die sich noch nicht recht allein im Leben zurechtfinden, von denen aber schon weitreichende Entscheidungen verlangt werden. Und die vielleicht bereits falsche Entscheidungen getroffen haben, etwa bei der Wahl des Studienfachs. Wenn dann die eigenen Eltern aus verschiedensten Gründen als Ansprechpartner ausfallen, sind die EFL-Berater gefragt, die Situation zu analysieren, andere Möglichkeiten aufzuzeigen und auf diese Weise ganz praktische Hilfe zu leisten – und zwar ohne, dass die Krankenkasse davon Wind bekommt. Denn wenn junge Erwachsene einen Therapeuten aufsuchen, kann ihnen das beruflich schaden, gerade wenn sie eine Beamtenlaufbahn einschlagen wollen, erläutert Moosbauer. „Wer bei uns Beratung sucht, muss sich nicht erst einen Überweisungsschein holen“, sagt sie. Und auch der Gegensatz von gesund und krank sei für die EFL-Berater nicht relevant. Vielmehr verstehe man sich als Schnittstelle zwischen Psychotherapie und Seelsorge, quasi „zwischen Couch und Beichtstuhl“, wie Moosbauer es ausdrückt. 

Auch ältere Menschen suchen im Vergleich zu früheren Jahren häufiger Rat und Hilfe bei der EFL. Wie zum Beispiel ein 62-jähriger Mann, der offen davon erzählt, wie sehr ihn das schlechte Verhältnis zu seinen Eltern, vor allem zum Vater, das ganze Leben seelisch stark belastet hat. Immer wieder bemühte er sich um eine Aussöhnung, die jedoch nicht gelingen wollte. „Der Mann hat mit uns aber einen Weg gefunden, besser mit dieser Situation umgehen zu können“, erläutert die Diplom-Sozialpädagogin.

Das 40-jährige Bestehen der EFL in Kiel wird am Sonntag, 4. Februar um 11.15 Uhr mit einem Gottesdienst in St. Nikolaus (Rathausstr. 5) in Kiel gefeiert. Anschließend wird im Kirchenkai eine Ausstellung eröffnet, die sich um Paargeschichten in der Bibel dreht und Parallelen zu Paaren in unserer Gegenwart in den Blick nimmt. Begleitend zur Ausstellung spricht am Mittwoch, 7. Februar um 19.30 Uhr im Kirchenkai der evangelische Pastor Albrecht Schmidt über: „Paare in der Bibel – Aspekte zum Verständnis christlicher Ehe“. Beim Forum Kirche und Gesellschaft geht es außerdem am Freitag, 23. Februar um 19.30 Uhr um das Thema „Ich und Du – Über das Gelingen und Scheitern von Beziehungen“. Referent des Abends ist dann der Facharzt für Psychotherapie und Buchautor Prof. Dr. Josef Aldenhoff.

Text: Marco Heinen