Kirchenrituale anders

Der richtige Zugang

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Taufe in der Elbe
Nachweis

Foto: Yannick Willing

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Pastor Fabio Fried tauft einen Erwachsenen in der Elbe.

In der Orangerie eines Rosengartens heiraten, barfuß mit Picknickdecke am Elbstrand Taufe feiern oder eine Kiezhochzeit in der Lieblingskneipe: Die evangelische Ritualagentur st. moment machts möglich.

Fabio Fried ist Pastor bei der Ritualagentur st. moment. Ihm ist es wichtig, dass jeder selbst entscheiden kann, wie und wo er seinen Segen feiert, denn „das sind häufig die wichtigsten Momente im Leben“, sagt er. Er will vor allem Menschen erreichen, die nicht zur Kirche gehen, keinen Bezug zur Heimatgemeinde haben und trotzdem bei Taufe, Hochzeit oder Beerdigung gesegnet werden möchten. „Viele Menschen wollen in den wesentlichen Umbrüchen ihres Lebens von der Kirche begleitet werden. Sie brauchen nur Zugangsformen, die zu ihnen passen, um sich zu melden“, stellt Fried fest. Bei st. moment soll sich jeder der sich segnen lässt, wohlfühlen – ob Kirchenmitglied oder nicht, ob homo- oder heterosexuell, ob mit schwerem oder leichtem Geldbeutel, ob alleinerziehend oder als Bilderbuchfamilie.

Die Arbeit der Pastorinnen und Pastoren von st. moment bezahlen die evangelischen Kirchenkreise Hamburg-Ost und Hamburg-West. Ungefähr 250 Taufen, Hochzeiten und Trauerfeiern hat st. moment 2023 ausgerichtet. Das ist nur möglich, weil sie sich nicht, wie Gemeindepfarrer, gleichzeitig um den Sonntagsgottesdienst, die Jugend- oder Seniorenarbeit kümmern müssen.
Was sie von typischen Kirchengemeinden abhebt, ist auch ihr Onlineauftritt. Web- und Instagramseite sind modern und übersichtlich gestaltet. Ein großes Foto aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die lässig nebeneinanderstehen und in die Kamera lächeln, macht sie nahbar. Zu sehen, dass die Pastorin die gleichen Sneaker trägt wie ich und wie mein Partner Tattoos auf dem Arm trägt, macht die Entscheidung leichter, sagt Fried.

Was bleibt von der christlichen Botschaft?

Individuelle Segensfeiern an besonderen Orten, wie unter dem Kirschbaum im eigenen Garten, sind sehr gefragt. Aber ist das nicht auch sehr flach? Was bleibt da von der christlichen, der kirchlichen  Botschaft? Viel, findet Fried. Denn wenn eine Familie zum Beispiel die Taufe ihres Kindes auf einem Steg an der Alster feiern möchte, überlegt er mit ihnen, was sie brauchen: einen Altar zum Beispiel. Was gehört zum Altar? Woher kommt eine Taufschale? Soll das Kind im Fluss getauft werden oder holt man Wasser heraus? Und was bedeutet das? Solche Fragen muss sich niemand stellen, der klassisch in der Kirche tauft. 

Und so besorgen manche Familien sich eine eigene Taufschale, die immer wieder genutzt wird, wenn ein neues Kind auf die Welt kommt. „Plötzlich gibt es wieder eine Aneignung religiöser Traditionen, die die Familien selbst durchdacht haben. Das führt dazu, dass sie sich bei der Taufe viel beteiligter fühlen“, sagt Fried. Gleichzeitig kommen auch Menschen zu st. moment, die sich im Kirchraum alleine nicht wohlfühlen. Sie nehmen gerne an Tauffesten teil, bei denen viele gleichzeitig getauft werden. Danach können alle gemeinsam etwas trinken und feiern. So muss der Fokus nicht auf der Familie liegen und das teure Kaffeetrinken danach kann wegfallen.

Auch spontane Segnungen bietet st. moment an, wobei spontan relativ ist, denn der Termin steht im Voraus fest. Aber zum Beispiel können Taufgespräch und Taufe am selben Tag stattfinden. Erwachsene, die schon lange überlegen, sich taufen zu lassen, aber noch nicht die richtige Gelegenheit gefunden haben, nehmen dieses Angebot an. 

st. moment ist eine evangelische Agentur. Sie wirbt damit, offen für queere Paare zu sein und Segensfeiern so individuell wie möglich zu gestalten. Seit kurzem dürfen auch in der katholischen Kirche homosexuelle Paare gesegnet werden, Segensfeiern für Schwangere oder am Valentinstag können außerhalb der Kirche stattfinden. Aber Ehe oder Taufe sind Sakramente. Die dürfen bei Katholiken nur in der Kirche gefeiert werden. Auch, weil etwa das Kind, das getauft wird, erkennbar in die Gemeinde aufgenommen wird. 

Weniger als 30 Prozent wollen religiöse Feier

Bei st. moment ist das anders, Pastor Fried sagt, viele wollten gar nicht in eine Gemeinde aufgenommen werden, sondern ausschließlich das Fest feiern. Wenn jemand aber Interesse hat, vermittelt st. moment die Menschen an Kirchengemeinden weiter, wie zuletzt, als eine Frau nach einem Gospelchor gesucht hat, in dem sie singen kann. 

Wie wichtig es Menschen ist, selbst zu entscheiden, wie und wo sie zum Beispiel ihre Hochzeit feiern, zeigt auch die Statistik. 2023 ließen sich laut der Onlineplattform Statista 36,3 Prozent von einem freien Trauredner verheiraten, 34,2 Prozent heirateten nur standesamtlich und 29,5 Prozent mit einer religiösen Feier. 

Fabio Fried sagt: „Ich bin mir ganz sicher, dass viele Paare eine freie Trauung in Anspruch nehmen würden, wenn wir nicht auf ihre Wünsche eingingen.“ Das tue st. moment nicht aus Not, sondern aus Überzeugung. Auf Wünsche einzugehen, muss gar nicht heißen, dass Sakramente in der Kiezkneipe gefeiert werden. Zuzuhören, Wünsche ernst zu nehmen und sichtbar zu sein, auch im Internet – das kann schon viel ausmachen.

Luzia Arlinghaus