Wie ein deutsches Unternehmen der Sagrada Família die Krone aufsetzt

Ein Rekordkreuz aus Bayern

Sagrada Família

Foto: imago

Besuchermagnet: Die Sagrada Família zählt zu den Attraktionen Barcelonas.

Der höchste Kirchturm der Welt steht in Ulm – noch. Denn im Frühsommer wird ein Kreuz auf dem Hauptturm der Sagrada Família in Barcelona angebracht: 17 Meter hoch, hundert Tonnen schwer und begehbar. Gefertigt wird es in einem deutschen Unternehmen. Ein Werkstattbesuch.

Funken und Späne fliegen in der Edelstahlhalle des Fassadenherstellers Gartner im bayerischen Gundelfingen. Rund 20 Mechaniker schweißen, flexen und schrauben an einem großen Puzzle aus Metall. Teamleiter Andre Willer zeigt an einem großformatigen Bauplan, wie aus den Einzelteilen in den kommenden Wochen die Spitze der Sagrada Família entsteht: ein 17 Meter hohes begehbares Kreuz für den Hauptturm. 

Kreuz Sagrada Familia
Modell des Turmkreuzes. Foto: Gartner GmbH

„Durch eine Wendeltreppe im Fuß kommt man in den Mittelteil – den Nukleus – und von dort aus in die Arme des Kreuzes, die in die vier Himmelsrichtungen zeigen“, erklärt der 32-jährige Konstruktionsmechaniker. Zwei dieser Arme sind schon fertig, am dritten arbeiten Willers Kollegen gerade. Dazu ist das gewaltige Bauteil in einem Gestell eingespannt, in dem es sich entlang der Längsachse drehen lässt. „Wie ein großer Gockelspieß, damit wir an alle Seiten gut hinkommen“, sagt Willer.

Aktuell sehen die Kreuz-Elemente noch aus wie Ersatzteile des Eiffelturms. Sichtbar ist dieses Metallskelett später aber nicht mehr. Mit Spezialbeton ausgegossen, erhält das Kreuz eine Oberfläche aus hellen Fliesen. Innen wird es mit Naturstein ausgekleidet. Verwendet werden dazu dieselben Materialien aus der Region Katalonien wie für die restliche Kirche. Wie am gesamten Bauwerk gibt es auch am Kreuz so gut wie keine geraden Kanten oder Flächen – ganz im Stil des Modernisme, den Architekt Antoni Gaudí um die vorletzte Jahrhundertwende prägte. „Da muss man sehr genau arbeiten“, sagt Michael Straubinger. Er schweißt gerade am geschwungenen, dreieckigen Rahmen eines der Fenster für den Kreuzarm, aus dem man künftig vom höchsten Kirchturm der Welt herabschauen kann. Wie ein Operateur sieht der 23-Jährige aus, wenn er hinter seiner Sicherheitsmaske verschwindet und mit präzisen Handgriffen die nächste Schweißnaht setzt. „Gerade wegen der statischen Anforderungen an das Grundgerüst des Kreuzes ist diese Arbeit anspruchsvoll.“

Ein kleines Gebäude auf der Turmspitze

Mit spektakulären Bauprojekten kennen sie sich in dem Unternehmen aus: Die Fassaden der Münchner BMW-Welt, der Hamburger Elbphilharmonie und der halben Skylines von Frankfurt und London stammen aus Gundelfingen. Anders als bei diesen Projekten konnte man bei der Sagrada Família aber nicht auf Originalbaupläne zurückgreifen. Gaudí starb 1926 nach einem Trambahnunfall, exakte Anweisungen für das Kreuz hinterließ er nicht. „Details wie die Begehbarkeit sind erst in den letzten Jahren von der Sagrada-Família-Stiftung, dem heutigen Bauherrn, entwickelt worden“, sagt Gartner-Chef Jürgen Wax. 

Kreuz auf Boden
Test: Besucher in Barcelona können schon jetzt ein Modellkreuz begehen. Foto: Gartner GmbH

Insgesamt rund hundert Tonnen soll das fertige Kreuz wiegen, sein Durchmesser bei zwölf Metern liegen. Ein kleines Gebäude auf der Spitze eines sehr großen Gebäudes. Zu den gewaltigen Dimensionen kommt die angestrebte langfristige Haltbarkeit. Üblicherweise arbeitet das oberschwäbische Unternehmen an Bürogebäuden und Flughäfen, bei denen die Fassaden nach ein paar Jahrzehnten wieder ausgetauscht werden. Das Kreuz hingegen soll über Jahrhunderte in luftiger Höhe Wind und Wetter standhalten. „Das war eine Herausforderung für die Planung und das Engineering“, sagt Wax. Wie viel das genau gekostet hat, darüber haben der Bauherr und der Fassadenhersteller Stillschweigen vereinbart. Der Betrag liegt laut Wax „im unteren zweistelligen Millionenbereich“. 

Aufgrund seiner Größe wird das Kreuz in sieben Einzelteilen nach Barcelona transportiert. Für den Frühsommer ist die Montage auf dem Hauptturm der Sagrada Família geplant, der Jesus Christus geweiht ist. Weil dem tiefreligiösen Architekten Gaudí wichtig war, mit seinem menschlichen Werk nicht Gottes Schöpfung zu überragen, legte er fest, dass der Turm einen halben Meter kleiner sein soll als der Stadtberg Barcelonas, der Montjuïc. Mit 172,5 Metern ist die Sagrada Família dann aber trotzdem die mit Abstand höchste Kirche der Welt. 

Dass ausgerechnet ein Unternehmen aus Oberschwaben dem dann rund elf Meter kleineren Ulmer Münster den Weltrekord streitig macht, sieht Wax gelassen. Es sei ja kein Wettbewerb. Auch werde das oberschwäbische Wahrzeichen dadurch nicht weniger beeindruckend. „Menschen aus der Region haben den neuen Rekord ermöglicht“, sagt Wax. Und das bedeutet den Arbeitern in der Edelstahlhalle eine ganze Menge. „Jeder ist stolz, daran mitzuwirken“, sagt Teamleiter Willer. „Wenn’s fertig ist, ist das sicher eine Reise wert.“ Und außerdem eine Geschichte, die man noch seinen Enkeln erzählen kann: dass man der Sagrada Família, der „ewig unvollendeten“ Kathedrale Gaudís, nach 143 Jahren Bauzeit die Krone aufgesetzt hat. 

Korbinian Bauer

WaxZur Person

Jürgen Wax ist Executive General Manager der Firma Gartner in Gundelfingen. Er und seine Kolleginnen und Kollegen helfen, die Sagrada Família nach 143 Jahren Bauzeit mit einem Kreuz zu vollenden. Foto: Josef Gartner GmbH