Das Fest Allerheiligen
Vorbilder, aber keine Heldenfiguren
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Heilige sind keine außergewöhnlichen Gestalten, sondern sehr lebensnah.
An Allerheiligen ehren wir – wie der Name schon sagt – alle Heiligen. Wann spricht man von heiligen Menschen?
Ich habe mal eine Geschichte gelesen – falls sie nicht wahr ist, ist sie gut erfunden: Ein Kind geht in eine Kirche, sieht die Figuren in den Glasfenstern und sagt: „Heilige, das sind Menschen, durch die das Licht durchscheint.“ In dieser Geschichte steckt alles drin: Menschen, durch die das Licht durchscheint. Niemand hat Gott je gesehen, sagt das Johannes-Evangelium. Wo können wir dann seine Spuren finden? In Menschen, die transparent sind, durch die etwas Göttliches durchscheint. Aber: Heilige sind keine außergewöhnlichen Gestalten, sondern sehr lebensnah.
Sie sind also keine unerreichbaren Lichtgestalten?
Nein, diese Vorstellung ist auch aus theologischer Sicht falsch. Communio sanctorum, Gemeinschaft der Heiligen, schließt uns alle ein. Nun sprechen wir ja, bescheiden, wie wir sind, von uns selbst nicht als Heiligen, aber eigentlich drückt das Wort Heilige eine Verbundenheit aus – letztendlich bedeutet es gelingendes Leben. Menschliches Leben gelingt, ist also heilig, wenn es in sich stimmig ist und nicht nur um sich selbst kreist, sondern aufgeschlossen ist für die Welt und sich vielleicht sogar für andere hingeben kann. Aber in einem gelingenden Leben gibt es auch Schwächen und Schuld, Gebrochenheit und Grenzen. Das ist menschlich und trifft auch auf die Heiligen im Heiligenkalender zu. Sie sind keine Heldenfiguren und dennoch vorbildhaft – in all ihrer Schwäche und ihren Grenzen.
Sind dann die herausgehobenen Heiligsprechungen, zu denen hunderttausende Menschen nach Rom reisen, überhaupt noch zeitgemäß?
Die kanonisierten Heiligen, also diejenigen, deren Namen durch eine offizielle Heiligsprechung des Papstes in das Verzeichnis der Heiligen aufgenommen werden, sind nur ein kleiner Teil der großen Heiligenschar. Sie werden in besonderer Weise verehrt, weil eine weltweite Glaubensgemeinschaft auch das Bedürfnis hat, das Heilige – das Durchscheinen göttlichen Lichts – an konkreten Lebensgeschichten festzumachen. Lebensgeschichten, von denen man erzählen kann und die nicht nur aus früheren Jahrhunderten stammen, sondern auch in unsere Zeit hineinreichen. Mutter Teresa oder Óscar Romero zum Beispiel. Nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil wurde der Heiligenkalender in der Liturgie sehr stark zurückgefahren, weil die Heiligenverehrung oft das Wesentliche überlagert hatte. Das Problem der jüngeren Heiligsprechungen hingegen ist, dass uns manchmal der historische Abstand fehlt, um die Verehrungswürdigkeit zu beurteilen.
Sind Selige eigentlich nur „halbe“ Heilige?
Da zeigt allein schon unser Gespräch: Das kann nicht sein. Heilig geht nur ganz oder gar nicht. Es gibt keine Abstufung. Selig und heilig – das sind rein „organisatorische“ Formen, was den Raum der kirchlichen Verehrung angeht. Die seligen Lübecker Märtyrer oder der selige Niels Stensen zum Beispiel werden überwiegend in norddeutschen Regionen verehrt. Heilig heißt: Die Personen werden gesamtkirchlich verehrt.
Heute nehmen wir uns oft sogenannte Alltagshelden zum Vorbild. Sind das in gewisser Weise auch Heilige?
Da müsste man genau hinschauen: Was zeichnet diese Alltagshelden aus? Sind das nur Showstars oder Influencer, die ein bestimmtes Ideal verkörpern? Viele, die sich selbst sozusagen für Heilige halten, sind alles andere als wohltuend für ihre Mitmenschen und unsere Welt. Ermutigend sind diejenigen, die über das, was uns möglich scheint, hinauswachsen. Da geht es nicht um Spektakel und ominöse Wunder, sondern oft um ganz einfache Alltagszeugnisse, und die müssen nicht mal unbedingt einen christlichen „Stempel“ haben.
Was unterscheidet die Verehrung eines Heiligen vom Starkult, zum Beispiel um einen berühmten Musiker?
Heilige werden um Beistand gebeten und verehrt – aber nicht um ihrer selbst willen verehrt, sondern mit Blick auf Gott, dem allein die Anbetung gebührt. Das ist ein Unterschied zum klassischen Starkult. Natürlich kann man das Ästhetische an einer Kunst oder an einem Künstler bewundern, sich inspirieren lassen, aber das ist etwas anderes. Wenn wir beim Fest Allerheiligen bleiben: Das Schöne daran ist, dass es weit über die bekannten Heiligen, die wir im Heiligenkalender haben, hinausgeht, dass es den Raum öffnet gerade für das Unspektakuläre, das Lebensnahe.
Wie könnten wir das Fest vielleicht zeitgemäßer – verständlicher – feiern?
Indem wir, wie gesagt, in der Liturgie deutlich machen, dass es eben nicht nur um die großen Heiligengestalten geht. Allerheiligen und das darauffolgende Totengedenken Allerseelen ist für mich eine Art Doppelfest, das mir in seinen unterschiedlichen Stimmungen persönlich nahegeht. Beides sind Hoffnungsfeste. Heilig sind alle, die zur Vollendung gelangen. Das hoffen wir für uns und für alle, die uns vorangegangen sind. Gleichzeitig wissen wir um unsere Gebrochenheit. Wenn wir den Satz im Glaubensbekenntnis nehmen, communio sanctorum, Gemeinschaft der Heiligen: Er meint auch Gemeinschaft am Heiligen. Das erhoffen wir für uns und auch für unsere Lieben, die uns vorangegangen sind. Und verbunden sind wir – da wird es ganz aktuell – über die Hoffnung, dass Leben wirklich gelingt und dieses Gelingen auch im Tod nicht verloren geht. Die Hoffnung ist konkret an Lebensgeschichten gebunden. Das zeichnet Allerheiligen und Allerseelen aus. Und die radikale Frage heute lautet: Können wir diese Hoffnung leben?