Verzicht auf Zucker
Weißes Gift oder pures Glück?

Foto: Doris Jungo/Pixabay
50 Gramm Zucker ist die empfohlene Tagesration. Das ist schnell erreicht.
Von Verboten hält Christine Hüttmeyer nichts. „Wir reagieren dann nur wie ein Kleinkind, dem der Lolli weggenommen wird.“ Süßes darf also auch essen, wer ein paar Pfunde loswerden möchte oder an Diabetes erkrankt ist. Es kommt nur darauf an, in Maßen zu genießen. Zum Beispiel auf einer Schokoladenreise, die sich Hüttmeyer für Patientinnen und Patienten hat einfallen lassen. Heißt: Jeder in der Runde nimmt ein Stück Schokolade in die Hand, betrachtet Form und Farbe, riecht mit geschlossenen Augen daran. Schließlich landet die Schokolade im Mund. Nicht kauen, sondern den Schmelz auf der Zunge fühlen, den Kakao und andere Aromen schmecken.
Christine Hüttmeyer ist Diätassistentin und Diabetesberaterin am St.-Joseph-Stift in Bremen. Zuvor war sie viele Jahre ambulant unterwegs in Arztpraxen in ganz Norddeutschland. Sie weiß, was zu viel Zucker im Körper anrichten kann, in welchen Lebensmitteln sich Zucker versteckt und warum wir überhaupt so verrückt sind nach dem süßen Zeug.
Dass wir Süßes mögen, ist uns offenbar angeboren. Der Embryo ernährt sich, indem er Fruchtwasser trinkt. Und ganz egal, was die Mutter isst, der Grundgeschmack von Fruchtwasser ist süß. Auch nach der Geburt bleibt es erst mal süß, wenn das Baby gestillt wird. „Der süße Geschmack der Muttermilch wird schon in frühester Kindheit gekoppelt mit schönen Emotionen“, erklärt Hüttmeyer. Später im Erwachsenenalter gibt es viele (Stress)situationen, in denen der Körper nach Zucker verlangt. Dabei ist es oft gar nicht das Süße, nach dem wir uns sehnen, sondern das wohlige Gefühl, das Zucker in uns auslöst: Er beruhigt, tröstet und macht einfach glücklich. Zucker aktiviert das Belohnungssystem im Gehirn.
Der Zuckersucht zu frönen – nichts leichter als das, denn Zucker ist heute überall. In süßen Teilchen, im Eis, in Gummibärchen, Bonbons und Limonade. Auch weniger offensichtliche Lebensmittel, sagt Christine Hüttmeyer, sind oft wahre Zuckerbomben. Etwa Müsli, Cornflakes, Fruchtjoghurt, Ketchup und Fertiggerichte. Ein Schokoriegel verleiht uns tatsächlich mehr Power. Aber nur kurz. Nach dem Hoch kommt das Tief. Nachdem der süße Snack unseren Blutzuckerspiegel in die Höhe getrieben hat, fällt dieser schon bald rapide ab. „Wir werden schlapp, unkonzentriert und hungrig. Ein Teufelskreis.“

Die Diabetesberaterin kennt die gesundheitlichen Folgen nur zu gut: Übergewicht, Diabetes mellitus, hohe Cholesterinwerte, Bluthochdruck, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Karies und sogar Krebs. Weitestgehend auf Zucker zu verzichten, ist also eine gute Idee.
Wer damit radikal in die Fastenzeit startet, muss damit rechnen, dass der Körper protestiert und nach seiner „Droge“ schreit. „Das Herz rast, man wird unruhiger und aggressiver, die Laune sinkt in den Keller. Aber nach zwei, drei Tagen wird es besser“, verspricht Christine Hüttmeyer. Das Durchhalten lohne sich. „Die Heißhungerattacken verschwinden, die Schlafqualität verbessert sich, die Körperfettzusammensetzung verändert sich, man ist ausgeglichener, energiegeladener, die Blutzuckerwerte bleiben stabil.“ Und ein weiterer „toller Effekt“: „Wir schmecken sensibler. Wenn ich nach vier bis sechs Wochen mal wieder ein Stück Kuchen vom Bäcker kaufe, merke ich, wie süß das eigentlich ist.“
Am besten, man analysiert sich selbst: In welchen Situationen esse ich Süßigkeiten?
In ihrem Berufsalltag erlebt Christine Hüttmeyer, dass auch immer mehr junge Menschen an Diabetes erkranken. „Wir leben in einer Wohlstandsgesellschaft, die Zahlen steigen, sowohl beim genetisch bedingten Diabetestyp 1 als auch beim Diabetestyp 2, der durch unseren Lebensstil ausgelöst wird.“ Letzterer Typ lasse sich aber durch Bewegung und gesunde Ernährung positiv beeinflussen. Hüttmeyer selbst sagt, sie verzichte nicht komplett auf Süßigkeiten, betrachte sie aber als Luxusgut. „Ich kaufe mir zum Beispiel die etwas teurere Schokolade und genieße ein Stück davon mit einer Tasse Kaffee auf dem Balkon.“
Als gesunde Nasch-Alternativen empfiehlt Hüttmeyer unter anderem Nüsse und Mandeln oder Gemüsesticks mit einem Kräuterquark-Dip oder Avocado-Creme. Auch Obst sei erlaubt, jeweils eine Handvoll morgens und nachmittags. „Am besten, man analysiert sich selbst: In welchen Situationen fange ich an, Süßigkeiten zu essen? Bei Stress oder abends vor dem Fernseher? Wer sich über den Chef geärgert hat, kann auch eine Runde spazieren gehen, um den Kopf freizubekommen.“
Grundsätzlich rät Christine Hüttmeyer, sich mehr mit Lebensmitteln zu beschäftigen. Schon seit längerer Zeit gehe der Trend wieder dahin, selber zu kochen und auf Fertigprodukte zu verzichten. „Einen Fruchtjoghurt zum Beispiel kann ich selbst anrühren, dafür brauche ich keinen fertigen kaufen. Und für ein Gulasch habe ich alle relevanten Gewürze in meiner Küchenschublade. Da kann ich auf Gewürzmischungen verzichten.“
Um Essgewohnheiten zu lockern und zu verändern, brauche es ein mindestens ein halbes Jahr. Dabei sind kleine Schritte sinnvoll, sagt Hüttmeyer. „Und irgendwann kann ich abends einen Film schauen, ohne das Verlangen, nebenbei etwas zu kauen.“ Das tägliche Idealmaß an Zucker beträgt 50 Gramm. Das sind fünf Teelöffel. „Diese Menge ist schnell erreicht.“ Morgens ein kleiner Fruchtjoghurt und Zucker im Tee, mittags eine gesüßte Quarkspeise: „Dann habe ich aber noch kein Obst gegessen und auch noch nicht genascht.“
Weniger Süßes: So kann es gelingen
- Wählen Sie kleine Portionen an Süßigkeiten oder portionieren Sie sie zum Beispiel, indem Sie eine Tafel Schokolade in Riegel brechen.
- Kaufen Sie für Ihre Kinder oder Gäste Süßigkeiten, die Sie selbst nicht mögen.
- Befestigen Sie ein Signal am Kühl- oder Vorratsschrank, das Sie kurz innehalten lässt. Das kann zum Beispiel ein Bild sein oder ein Stoppschild. Fragen Sie sich: Warum habe ich jetzt gerade Lust auf etwas Süßes?
- Überlegen Sie, wie Sie sich nach dem Naschen gerne fühlen würden.
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Überlegen Sie, was Sie tun könnten, statt zu naschen, zum Beispiel Tee trinken, Yoga, Garten- oder Hausarbeit machen, lesen oder andere sinnvolle und schöne Dinge.
Quelle: Bundeszentrum für Ernährung