Rita Süssmuth zur politischen Lage vor der Bundestagswahl

„Wir können so viel schaffen“

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Rita Süssmuth
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Foto: imago/Wolfgang Maria Weber

 

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Hoffnungsvolle Kämpferin: Rita Süssmuth setzte sich in den 1980er Jahren für Frauenrechte ein und mischt auch heute noch in der politischen Debatte mit.
 

Mit Sorge blickt Rita Süssmuth auf die politische Lage in Deutschland vor der Bundestagswahl. Die ehemalige Bundestagspräsidentin warnt aber auch vor Schwarzmalerei und mahnt, nicht nur auf das Schlechte zu schauen, sondern das zu sehen, was erreicht wurde und was noch möglich ist.

Immer wieder klingelt bei Rita Süssmuth das Telefon. Die 87-Jährige hat Schwierigkeiten beim Laufen, das Sprechen klappt nicht mehr so flüssig wie früher. Aber ihr Geist ist wach. Aktuell engagiert sich die ehemalige Bundestagspräsidentin für ein Zeichen, das an die polnischen Opfer des Zweiten Weltkrieges erinnern und in Berlin entstehen soll. Es geht um Anerkennung und Aussöhnung nach dem Zweiten Weltkrieg. Aber wohl auch darum, mit einem solchen Zeichen demokratiefeindlichen Kräften in Polen den Wind aus den Segeln zu nehmen. 

Doch Süssmuth blickt nicht nur mit Sorge auf das Nachbarland, sondern wenige Wochen vor der Bundestagswahl auch auf ihr eigenes Land. „Unsere Demokratie ist in Bedrängnis“, sagt die CDU-Politikerin. „Ich kann Sorgen und Nöte der Menschen verstehen, aber nicht schweigen zur Wahl undemokratischer Parteien“, sagt sie über die Menschen, die der in weiten Teilen rechtsextremen AfD ihre Stimme geben. 

Sie kritisiert, die etablierten Parteien würden zu viele Versprechen machen und zu wenig umsetzen, was die Probleme der Menschen löse. In ihrem aktuellen Buch „Über Mut“ bekommen nahezu alle Parteien ihr Fett weg: Den Bundeskanzler beschreibt sie als „Schweiger“ und „blass und unbestimmt“. Die Klientelpolitik der FDP in der Ampelkoalition, das Heizungsgesetz der Grünen, das Maut-Desaster der CSU führt sie als Beispiele für politisches Versagen an. Und die Haltung des „Oppositionsführers“, also von Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz zu den Rechtsextremen habe das Erscheinungsbild der Partei „bis zur Unkenntlichkeit“ verschwimmen lassen, schreibt sie.

Abstimmung mit der AfD war ein Tabubruch

Wie zur Bestätigung dieser Kritik hat Merz kurz vor dem Gespräch für diesen Text seinen Antrag zur Migrationsbegrenzung mit den Stimmen der AfD durchgebracht. Für Süssmuth ein Tabubruch. Sie sagt nun, politisch Verantwortliche müssten sich immer fragen: „Was folgt daraus?“ Dass die Mehrheit mit der AfD ja auch dem Stimmverhalten der Wähler entspreche, lässt sie nicht gelten: „Die Mehrheit kann auch irren.“ 

Süssmuth vermisst in Deutschland politische Führung. Eine Führung, die den Menschen Orientierung gibt und ihnen gleichzeitig etwas zutraut und sie herausfordert: „Das fehlt uns. Was wollen wir gemeinsam? Das haben wir mal gewusst. Aber wir wissen es nicht mehr.“ 

Mit Helmut Kohl hat sie als erste Familienministerin, die sich in der männerdominierten CDU der 1980er Jahre für Frauenrechte einsetzte, viele Konflikte ausgetragen. „Wir haben am Telefon oft streitig diskutiert, wie wir die Beteiligung der Frau, gerade auch ihre politische, aktiv umsetzen“, erzählt sie heute mit einem Schmunzeln. Aber Kohls klarer Weg zur Wiedervereinigung etwa oder Angela Merkels „Wir schaffen das“ hätten Orientierung gegeben: „,Wir schaffen das‘ mobilisiert ja Kräfte.“ Führung, Orientierung, den Menschen etwas zutrauen: Das ist für Süssmuth „nicht das Rezept, aber ein wichtiger Bestandteil“ gegen Radikalisierung. Und eine Politik, die die Nöte der Menschen aufgreift und Klartext spricht. Verlässlich, ohne platte Vereinfachung, ohne Aggression.

„Wir müssen weg von Aggressivität und Gewalt“

So sehr die aktuelle politische Lage Süssmuth Sorgen bereitet: Sie warnt vor Schwarzmalerei. „Wir sehen überall nur das Versagen, aber nicht das Erreichte. Es sind nach wie vor so viele hilfsbereite Menschen unterwegs“, sagt sie. „In den meisten Menschen stecken viele Kräfte und gute Ideen, die zu mobilisieren sind.“ Daher könnten sie unangenehme Wahrheiten vertragen. Politiker müssten endlich den Mut haben, diese auszusprechen. „Bei allen Schwierigkeiten braucht es Ermutigungen, um ungelöste Probleme anzupacken. Mit Zuversicht und Durchhaltevermögen.“ Süssmuth will den Menschen zurufen: „Glaubt an euch selbst, traut euch etwas zu! Denn wenn sich jeder schwach fühlt, woher soll die Kraft kommen, gemeinsam etwas auf den Weg zu bringen?“ 

Süssmuth zeichnet ein anderes Bild der Politik und der Gesellschaft als das, was wir derzeit erleben. „Wir müssen weg von Aggressivität und Gewalt.“ Weg von Abgrenzung, hin zu mehr Gemeinsamkeit. Weg von schrillen Tönen, hin zur sachlichen Suche nach Lösungen. Nicht die Defizite betonen, sondern die Stärken nutzen. „Wenn wir zusammenhalten“, sagt sie, „können wir so viel schaffen.“

Ihr eigener Lebensweg bestätigt sie darin, dass man Widerständen trotzen und Gutes erreichen kann. „Ich habe die Angst des Krieges als Kind erlebt“, sagt Süssmuth. Danach aber auch den Wiederaufbau, die Aussöhnung und den Aufbau des vereinten Europas. Viele politische Auseinandersetzungen hat sie durchgestanden, dabei manche Niederlage eingesteckt. „Scheitern und wieder aufstehen. Das ist wichtig. Im Scheitern lernt man ja auch“, sagt Süssmuth. 

Die Katholikin bezeichnet sich als „hoffnungsstur“, weil sie die Hoffnung nicht aufgibt: „Ich habe ein Grundvertrauen, das mir in meinem Leben sehr geholfen hat.“ Ein Vertrauen, das aus dem Glauben an Gott kommt: „Wir sind nicht allein.“ 

Ulrich Waschki

Säüssmutrh buchBuchtipp

Christoph Fasel, Rita Süssmuth: Über Mut. Vom Zupacken, Durchhalten und Loslassen. Bonifatius Verlag, 160 Seiten, 18 Euro. Ein Appell an alle Demokraten, nicht nachzulassen in ihrem Bemühen für Frieden und gegen Fremdenhass und Rechtsruck.