Monat der Weltmission

Wir lassen euch nicht allein!

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Carol Daria in der Nähstube
Nachweis

Foto: Jörg Böthling

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Im Team: Carol Daria hilft Frauen, in einer Näherei ihr Leben zu finanzieren

Der Oktober ist der Monat der Weltmission. Was bedeutet Mission heute?Eine Psychologin von den Philippinen und ein Priester aus Myanmar erzählen,wie sie Menschen in Not Hoffnung schenken – und dabei viel riskieren.

 

Die Psychologin auf den Philippinen

"Die Opfer haben mir geholfen, mutiger zu werden"

Carol Daria wollte das Unrecht, das im Armenviertel Payatas im Großraum Manila geschah, nicht hinnehmen. Sie ging zu Daniel Pilario, einem befreundeten Vinzentinerpater, und sagte ihm, dass sie bei seiner Hilfsaktion mitmachen und tun wolle, was auch immer erforderlich ist. Seit fast neun Jahren unterstützt sie in ihrer Freizeit nun schon die Angehörigen der Opfer des Drogenkriegs auf den Philippinen.

„Ich wollte einen Unterschied machen“, sagt sie. Zunächst übergab sie mit der Gruppe um Pater Daniel Lebensmittelspenden an die betroffenen Familien. Sie sollten an Weihnachten und am Neujahrstag etwas zu essen auf dem Tisch haben – auch nach der Ermordung ihrer Väter, Söhne, Großväter, Brüder oder Onkel. Nicht nur die Toten fehlten den Familien, sondern auch ihr Einkommen für den Lebensunterhalt.

Bald unterstützte die Gruppe die Hinterbliebenen auch bei der Beerdigung der Toten. Die Familien der Opfer suchten „eine Gemeinschaft von Menschen, die sie verstehen können“, erzählt Daria. „So haben wir begonnen, für sie da zu sein.“ Sie wurde Mitgründerin der Gruppe „Solidarität für Waisen und Witwen“. Mit anderen Psychologinnen und Psychologen kümmerte sie sich um die Mütter, Kinder oder Geschwister der Ermordeten. Sie alle waren traumatisiert; manche Kinder waren dabei, als ihr Vater oder ihr Bruder getötet wurde.

Daria organisierte Gruppentherapien. Zweimal im Monat traf sie sich mit den Müttern und Kindern. Sie sprachen über die Trauer und die Gewalt, die ihre Familien erlebt hatten. Für die Kinder boten die Ehrenamtlichen auch Mal- und Musiktherapie an.

Sie machen Fotos von den Toten

Selbsthilfegruppe
Im Dialog: Carol Daria spricht mit Angehörigen der Opfer des Antidrogenkrieges
Foto: Jörg Böthling

Daria, die vom katholischen Hilfswerk missio München unterstützt wird, hat sich immer als Helferin für Menschenrechte gesehen. Sie ist Mitglied der christlichen Laienbewegung Fondacio, die sich weltweit für Bildung einsetzt. Sieben Jahre lang lebte sie als Missionarin in Myanmar und kümmerte sich um Jugendarbeit. Auf den Philippinen war sie später Mitarbeiterin der Vereinten Nationen und half, die Handlungsfähigkeit der Bevölkerung bei Katastrophen zu stärken. „Humanitäre Arbeit liegt mir im Blut“, sagt Daria.

Heute ist sie Mitte 50, arbeitet als Dozentin für Theologie und Philosophie an der Ordenshochschule der Vinzentiner und schreibt an ihrer Doktorarbeit in Psychologie. Bei ihrem ehrenamtlichen Engagement geht es ihr nicht nur um Hilfe für Hilfsbedürftige, sondern um Gerechtigkeit. Sie sagt: „Wenn wir schweigen, werden sich die Verbrechen fortsetzen. Nur, wenn wir die Wahrheit aussprechen, wird es Gerechtigkeit geben.“ Deshalb unterstützen die Ehrenamtlichen die Familien auch dabei, die Verbrechen für eine spätere Strafverfolgung zu dokumentieren. Sie machen Fotos von den Toten und von den Orten der Verbrechen, führen Interviews mit Angehörigen und Zeugen und sorgen mit Hilfe von Rechtsanwälten dafür, dass in polizeilichen Dokumenten nicht steht, dass es ein Unfall war.

Staatliche Hilfe bekommen sie nicht. Das Töten war schließlich legal, nachdem Präsident Rodrigo Duterte nach seinem Amtsantritt der Polizei die Erlaubnis dazu gegeben hatte. Wer des Konsums oder Handels mit Drogen verdächtigt wurde, durfte erschossen werden, einfach so, ohne Beweise, ohne Gerichtsverfahren. Menschenrechtsorganisationen und der Internationale Strafgerichtshof gehen davon aus, dass in Dutertes Amtszeit zwischen 2016 und 2022 bis zu 30 000 Menschen ermordet worden sind. Medien berichten, dass neben der Polizei auch Söldner in Killerkommandos auf die vermeintlich Schuldigen schossen.

Das Bild einer Mutter hat sie motiviert

Daria erzählt, die Leute fragten sie, warum sie Drogenabhängigen, Dealern und ihren Familien hilft: „Das war keine begehrte Arbeit.“ Von der Gesellschaft würden die Menschen „als Belästigung“ wahrgenommen. Die Zahl der Drogenkonsumenten auf den Philippinen ist hoch. Laut Justizministerium gab es im Jahr 2023 anderthalb Millionen Abhängige unter den 109 Millionen Einwohnern. Dementsprechend unterstützten viele Menschen den Antidrogenkrieg.

Daria nicht. Wie viele christliche Aktivistinnen und Aktivisten sieht sie das Leid und das Unrecht der Antidrogenkampagne. „Wer sind wir zu urteilen?“, fragt sie. „Selbst wenn die Menschen Kriminelle sind, selbst wenn sie die größten Sünder sind, haben wir nicht das Recht, sie zu töten.“ Was sie motiviert hat zu helfen, war schließlich ein Bild in einer Zeitung – von einer Mutter mit ihrem toten Sohn. „Es hat mir die Augen geöffnet und mich dazu gebracht, mich für die Familien einzusetzen“, sagt Daria. „Es war wie eine Pietà – wie Maria, die Jesus im Arm hielt nach seinem Tod am Kreuz.“

Das Ehrenamt im Armenviertel hat Daria verändert. „Die Opfer und die Familien der Opfer haben mir geholfen, mutiger zu werden“, sagt sie. Zur Zeit des Drogenkrieges war es lebensgefährlich, sich mit den Menschen in den Armenvierteln zu treffen. Leicht konnte man als vermeintliche Kollaborateurin selbst ein Opfer der Polizei werden. Sie ging trotzdem zu ihnen. Irgendwann, sagt sie, „habe ich die Gefahr für mein eigenes Leben vergessen“.

Unter Ferdinand Marcos, seit 2022 Präsident der Philippinen, scheint sich die Zahl der Morde verringert zu haben. Doch aufgearbeitet werden die Verbrechen bis heute nicht. Daria trifft sich noch immer mit den Angehörigen der Opfer. Aus ihrer Gruppentherapie sind Bildungsprojekte geworden, sie schult die Menschen in Kommunikationstrainings, Kindererziehung, Gesundheits- und Glaubensfragen. Und unterstützt die Kinder und Jugendlichen bei ihren Schulaufgaben, damit sie die Aufnahme an weiterführende Schulen schaffen.

Außerdem haben Daria und andere Ehrenamtliche schon 2018 eine Näherei eröffnet. Derzeit arbeiten dort zehn Mütter. Sie nähen Taschen und Rucksäcke, die sie in einem kleinen Laden verkaufen, um den Lebensunterhalt für ihre Familien zu verdienen. „Die Mütter stehen wieder auf“, sagt Daria, „um ihr Leben weiterzuleben für ihre Kinder.“

 

Der Priester in Myanmar

"Ich möchte bei meinem Volk sein, auch wenn es sehr gefährlich ist"

Philip Aung Nge
Im Vertrauen auf Gott: Philip Aung Nge

Philip Aung Nge wirkt herzlich. Lächelnd schaut er aus dem Bildschirm. Er sitzt vor einem Fenster, das den Blick auf den wolkenverhangenen Himmel über Bergwäldern freigibt. Es scheint ein ruhiger Samstagnachmittag zu sein. Doch seine Zeit für das Video-Interview ist knapp.

Der 47-Jährige ist Leiter des Notfallteams der Diözese Loikaw in Myanmar und katholischer Priester. In der Corona-Pandemie war er für den Schutz der Menschen vor Infektionen und die Unterstützung der Armen zuständig. Nun organisiert er die humanitäre Hilfe seines Bistums nach dem Militärputsch im Februar 2021. Seit der Bürgerkrieg begonnen hat, versucht er mit seinem Team, die Lage von zehntausenden Menschen zu verbessern. Er wolle „so viele Leidende wie möglich erreichen, damit sie das Lebensnotwendige bekommen“, sagt er.

Aung Nge ist selbst ein Geflüchteter. Er lebt in einer Siedlung in den Bergen etwa 150 Kilometer nördlich von Loikaw. Mit vielen anderen, die bis zum Beginn des Bürgerkriegs in der Kleinstadt im Osten an der Grenze zu Thailand gelebt haben, hat er sich hier vor der Militärjunta in Sicherheit gebracht. Das Militär hat viele Häuser zerstört, als es Loikaw eingenommen hat. Das Gemeindezentrum der katholischen Kathedrale ist von Artillerieangriffen beschädigt worden. Nach dem Angriff hat die Armee die kirchlichen Gebäude besetzt.

Nach der Vertreibung aus Loikaw 2023, von seiner Arbeit ausgebrannt, hat Aung Nge ein paar Monate in den USA gelebt. Seine Freunde wollten ihn überreden, nicht in das Bürgerkriegsland zurückzukehren und stattdessen im Ausland Spenden für seine Diözese sammeln. Doch Aung Nge sagte sich damals: „Meine Anwesenheit ist wichtiger, auch wenn wir nicht genug Geld haben. Ich möchte bei meinem Volk sein, auch wenn es sehr gefährlich ist.“ Er wollte nicht nur die Menschen begleiten, sondern auch die vielen Priester und Ordensschwestern, die immer noch in dem Land waren und sich kümmerten. „Ich wollte einer von ihnen sein.“

"Unsere einzige Hoffnung ist Gott"

Nun sorgt sein Team mit Unterstützung des katholischen Hilfswerks missio Aachen dafür, dass die Menschen in den Notunterkünften etwas zu essen haben. „Sie sind, was ihre tägliche Ernährung angeht, völlig auf Spenden angewiesen, da es keine Arbeits- und Verdienstmöglichkeiten gibt“, sagt Aung Nge. Für die Kinder versucht er, Schulunterricht zu organisieren. Er schätzt, dass allein aus seiner Diözese 60 000 Schülerinnen und Schüler keinen regelmäßigen Zugang zu Bildung mehr haben. An einigen Orten bieten geflüchtete Lehrkräfte und Ordensschwestern Ersatzunterricht an. Oft werden unter Plastikplanen und Blechen im Freien provisorische Klassenzimmer errichtet. Manchmal gelingt es, aus anderen Städten Schulbücher, Stifte und Hefte aufzutreiben. Aber der Transport in die abgelegenen Orte ist schwierig.

Es sind vor allem Frauen, Kinder und Jugendliche, die nun verstreut in den Siedlungen in den Bergen und Wäldern leben. Die Militärjunta hindert sie daran, in ihre Orte zurückzukehren. Auch die dringend benötigten Lebensmittel können sie nicht selbst anbauen, weil viele Ackerflächen vermint sind und in den besetzten Gebieten liegen. Die Männer sind meist nicht bei den Familien. Sie sind zum Militärdienst eingezogen worden oder kämpfen in kleinen Widerstandsgruppen gegen die Militärdiktatur. Viele müssen sich verstecken, um von der Junta nicht in den Krieg gezwungen zu werden.

Die Menschen bitten um Rosenkränze

Frieden und Sicherheit sind für Aung Nge in weiter Ferne. „Unsere einzige Hoffnung ist Gott“, sagt er. „Wir müssen immer an die glücklichen Momente denken, an die Menschen, die uns mit Spenden unterstützen, und an die kirchlichen Organisationen in anderen Ländern. Sie helfen uns materiell und sie beten für uns. Nur so können wir weitermachen.“

Aung Nge beobachtet, dass der Glaube die Geflüchteten vor Hoffnungslosigkeit bewahrt. „Die Menschen beten mehr als früher, sie bitten um religiöse Gegenstände wie Rosenkränze und Kreuze. Sie bitten um Gebetbücher, um Messen und Sakramente“, erzählt er. Das wiederum gebe ihm Gottvertrauen und motiviere ihn, für die Menschen da zu sein und ihre Bitten und Wünsche zu erfüllen.

„Wir tun unser Bestes, um den Leuten beizustehen“, sagt er. Aber oft können sie nichts tun. „Manchmal sterben Menschen. Familien verlieren Angehörige, und uns bleibt nichts, außer für sie da zu sein. Das sind Momente, die schwer zu ertragen sind“, sagt er.

Aung Nge erlebt, dass es den Menschen ein Gefühl von Sicherheit gibt, wenn Priester und Ordensleute präsent sind. Wenn sie auch nicht immer helfen können, so geben sie doch Hoffnung. „Wir reisen sehr oft in die meisten Lager und versuchen, in der Nähe zu bleiben“, erzählt er. „Manche Priester leben in den Flüchtlingsunterkünften oder in einer nahen Kirche.“

Alle, die er trifft, wünschen sich eines: „Sie wollen nach Hause. Sie wollen in Frieden an ihren ursprünglichen Orten leben.“ Ihr Ziel sei es, dass sie sicher zurückkehren können: „Aber im Moment ist das fast unmöglich.“ Zu zerstritten ist das Land. Neben der Militärjunta kämpfen viele ethnische, religiöse und politische Gruppen miteinander oder gegeneinander. Nicht alle wollen einen gemeinsamen Staat. Doch Aung Nge gibt nicht auf. Er erzählt, dass er mitbekommen hat, wie Mitglieder aus zwei gegnerischen Gruppen aufeinander zugegangen sind. Und er sagt: „Ich ermutige die Leute immer, zusammenzuhalten. Das ist unsere Hoffnung.“

Barbara Dreiling

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Hintergrund

Der Monat der Weltmission ist eine Solidaritätsaktion der Katholikinnen und Katholiken weltweit und findet traditionell im Oktober statt. Im Mittelpunkt stehen in diesem Jahr die Menschen auf den Philippinen und in Myanmar. Auf Einladung der beiden deutschen Hilfswerke missio München und missio Aachen berichten Projektpartner von der Situation der Menschen vor Ort. Die Spenden in den Gottesdiensten am Sonntag der Weltmission am 26. Oktober kommen den Hilfswerken zugute.

Weitere Informationen finden Sie unter:  www.missio-hilft.de und www.missio.com