Seelsorgerin auf Norderney
„Haben Sie Zeit für mich?“
Foto: Petra Diek-Münchow
Siri Fuhrmann arbeitet als Referentin in den Caritas-Kurkliniken auf Norderney.
Vier Papiertüten stehen in einem etwas anderen Kerzentisch in der Fachklinik Thomas Morus auf Norderney. Patientinnen des Caritas-Gesundheitszentrums haben ihre Wünsche, Sorgen und Bitten aufgeschrieben, die Blätter zusammen aufgerollt und hineingestellt in runde Öffnungen, die von innen mit einer Lampe angestrahlt werden. Sie leuchten damit auf ein helles Licht, findet Siri Fuhrmann. Und sieht darin ein Zeichen der Hoffnung. „Gott ist da – immer“, umschreibt sie die Aktion, die in dem sorgsam gestalteten Raum der Stille sehr gut angenommen wird.
Seit über zehn Jahren arbeitet Siri Fuhrmann als Referentin in den zwei Caritas-Kurkliniken Thomas Morus und Maria am Meer sowie den Gästehäusern Inseloase und Friesenhof. Sie begleitet dabei unter anderem Mütter und Eltern bei Kurmaßnahmen, bietet Exerzitien für Einzelpersonen, spirituelle Kurse für Gruppen, Oasentage für Mitarbeitende der Caritas und Gottesdienste für Menschen auf einer Sinnsuche an. Seelsorgliche Einzelgespräche, aber auch Vorträge, meditative Tageseinstimmungen, Strand-Impulse oder Kirchenführungen gehören ebenfalls zu ihrem vielfältigen Aufgabengebiet. Hier, im beschützend wirkenden Raum der Stille der Fachklinik, lädt die 48-Jährige regelmäßig zu Gebetszeiten, Andachten und kurzem Innehalten ein. Viele der Patientinnen kommen gerne darauf zurück, weil es immer auch um Themen geht, die sie in ihrem Leben persönlich betreffen: Weiblichkeit, die Mutterrolle, Grenzen der Belastung, Entscheidungen, die Frage nach der inneren Balance und Freiheit.
Psychische Belastungen haben zugenommen
Fuhrmann bringt für diese Arbeit viel Erfahrung aus früheren Stationen und Ausbildungen mit. Die gebürtige Essenerin hat katholische Theologie studiert, in Liturgiewissenschaft promoviert und vor ihrem Wechsel auf die Nordseeinsel zuletzt genau in diesem Fach an der Uni Bonn gelehrt. Außerdem hat sie mehrere Zusatzqualifikationen erworben, zum Beispiel in Gesprächsführung, geistlicher Begleitung und Schreibtherapie. Das kommt ihr zugute bei einem Schwerpunktthema im Caritas-Gesundheitszentrum, das sich nach ihren Worten immer mehr als solches herauskristallisiert: Trauer und Verlust. Sei es nach einem Todesfall, nach einer Trennung, nach einem ungewollten Abschied. „Man kann Trauer vielleicht aufschieben, aber irgendwann wird sie Platz nehmen“, sagt Siri Fuhrmann. Manchmal schnell, manchmal nach zehn Jahren, „wenn die Seele Platz dafür hat“.
In allen vier Häusern der Caritas auf Norderney kommt dieses Thema nach ihren Worten „immer häufiger vor. Mindestens einmal die Woche werde ich angerufen und jemand fragt: Haben Sie mal Zeit für mich?“ Die nimmt sich Fuhrmann dann – für ein Gespräch unter vier Augen, für ein Gruppenangebot, für einen Impuls im Raum der Stille. Und sie spürt bei diesen Begegnungen deutlich noch immer die Konsequenzen aus der Corona-Pandemie: die Folgen sozialer Isolation, dass eine Partnerschaft die Belastungen nicht ausgehalten hat, dass Familien ihre verstorbenen Angehörigen nicht verabschieden konnten.
Sie nimmt in den Begegnungen auch wahr, dass für viele Menschen der „mental load“, also die psychische Belastung, zugenommen hat. Diesen mentalen Ballast, die unsichtbare Denkarbeit tragen nach ihren Worten Frauen ganz besonders – weil sie, oft auch in einer Doppelrolle, planen, organisieren, koordinieren, die Familie managen, entscheiden müssen, Verantwortung übernehmen vom Arztbesuch für die Kinder bis hin zur Pflege der Eltern. „Das ist dann von allem zu viel“, sagt Siri Fuhrmann. Und kann krank machen. Die Referentin und die Angebote im Gesundheitszentrum wollen da gegensteuern – wollen helfen, damit die Frauen und auch Männer wieder ihre innere Waage, wieder neue Kraftquellen finden. Siri Fuhrmann hat das passend in einem kurzen Gedicht in Worte gefasst, das davon erzählt, wie man am Meer der Sehnsucht folgen und dem Leben wieder trauen kann.
Am Meer
den Faden verlieren
und ihn wieder aufnehmen
den Sinn würdigen
und der Sehnsucht folgen
Lebendigkeit empfinden
und dem Leben trauen
sein.
Siri Fuhrmann